REVIEWS COMIC 04-2016

 

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In The Pines - 5 Murder Ballads

Erik Kriek / Avant
TIPP

Die Faszination der Mordballade. Durch seine (ebenfalls im Avant-Verlag erschienene) Comic-Adaption von H. P. Lovecraft-Werken hat sich der Amsterdamer Zeichenkünstler Erik Kriek als eine Art Fachmann für Jenseitiges profiliert. Sein neues Werk In The Pines widmet sich im englischen Sprachraum besonders populären Murder Ballads und enthält fünf bestechend umgesetzte, monochrome Kurzgeschichten zu Liebe, Verrat & Mord - jeweils mit musikalischem Hintergrund. Für seine Panel-Storys zapft Kriek auf angloamerikanischen Volkserzählungen fußende Balladen an, die in amerikanische Folksongs eingingen, die etwa von Johnny Cash, The Grateful Dead oder Nick Cave, der den Mordballaden 2001 ein ganzes Album widmete, interpretiert wurden. In einem ausführlichen Nachwort ergänzt Musikjournalist Jan Donkers Details zu den Geschichten und führt aus, welches Repertoire, etwa von Bob Dylan, er zukünftig gern umgesetzt sähe. Auf der hinten in den Hardcover-Band eingeklebten CD der Blue Grass Boogieman kann sich der Leser die jeweiligen Stücke anhören, während er oder sie mit Pretty Polly oder Caleb Meyer Bekanntschaft macht, sich nach Taneytown entführen lässt oder beim Gedanken an The Long Black Veil schaudert.. „In the Pines, in the pines, where the sun never shines - and we shiver when the cold wind blows...“
www.avant-verlag.de

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Tschernobyl /  Reaktor 1F

 Natacha Bustos - Francisco Sanchez / Egmont * Kazuto Tatsuta / Carlsen

Zwei erschreckende Atom-GAU-`Jubiläen´ mit Niederschlag im Comic-Regal. 1 Vor 30 Jahren flog der sowjetische Atomreaktor Tschernobyl in die Luft, heute ist die Geisterstadt in der Ukraine eine bizarre Touristen-Attraktion. In der verseuchten Sperrzone tummeln sich jährlich Tausende Schaulustige, für die geführte Ausflüge mit Geigerzähler arrangiert werden. Ob das spanische Zeichner- & Autorenteam Natacha Bustos´ & Francisco Sanchez für ihre Recherche ebenfalls vor Ort war, bleibt offen. Auf den letzten Seiten ihres Graphic Novel-Debüts sind die Beschreibungen Ihrer Herangehens- & Arbeitsweise mit Teilen einer Fotoreportage aus der Sperrzone von Lourdes Segade kombiniert. Die komplett in Schwarzweiß gehaltene Rückkehr ins Niemandsland wird anhand einer Familie aus dem nur 3 Kilometer vom Reaktor entfernten Prypjat  thematisiert - drei Generationen, alle von der Katastrophe betroffen - beim alten Ehepaar fühlt man sich natürlich an Raymond Briggs´ Wenn der Wind weht von erinnert.

2 Ein Bericht aus Fukushima Teil 1 Und auch schon wieder fünf Jahre ist die verheerende Kernschmeldze in Fukushima Daiichi in Folge einer Erdbeben/Tsunami-Alptraumkonstellation her - der größte nukleare Unfall seit Tschernobyl. Während das öffentliche Interesse abseits von Jubiläen allmählich abflaut, möchte der Mangazeichner Kazuto Tatsuta (ein Pseudonym) unabhängig die Fortschritte und den Alltag der Arbeiter rund um Reaktor 1F schildern. Als er endlich bei einem Subunternehmer angestellt wird, ist der Weg frei für Tatsutas detaillierte Zeichnungen, Infografiken und kommentierte Planskizzen von den Reaktorblöcken, die insgesamt eine Trilogie ergeben werden. Schon beim ersten Band (ca. 200 Seiten, in japanischer Lesart gebunden - von hinten nach vorne) stellt sich beim Leser ein Gefühl ein, als ob er in der bizarren Schutzkleidung eingezwängt wäre. Japans Regierung konnte sich bisher nicht zu einem Ausstieg aus der Atomergie entschließen - doch was soll noch (Schlimmeres) passieren?
www.carlsen.de

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Glenn Gould - Leben off-Beat

Sandrine Revel / Knesebeck

"Er war ein sehr eigenartiger Mensch - irgendwie aus einer neuen Welt" äußerte Sir Yehudi Menuhin einst über den verschrobenen Ausnahme-Pianisten Glenn Gould. Dessen Leben Off-Beat ist nun Thema des vorliegenden Bandes von Autorin & Zeichnerin Sandrine Revel. Nach einem Dutzend Veröffentlichungen und Skizzenbüchern zu Jazzmusik sowie klassischen Konzerten erfüllte sie sich als frühere Pianistin mit dem Projekt Glenn Gould einen Herzenswunsch auf einer der letzten Seiten findet sich ihre Gould-Playlist während der Arbeit an der Graphic Novel, vor der ebenfalls enthaltenen systematischen Diskografie. Gerade erst im laufenden Jahr erhielt sie für ihre Arbeit mit den kleinteiligen Panels und dem pastosen Farbauftrag den Prix Artémisia.
Nun zurück zum manischen Wunderkind Glenn Gold, der mit fünf erstmals eine seiner eigenen Kompositionen vor Publikum spielte und schon mit zwölf sein Solistenexamen bestand. Der exzentrische Musiker entschied auf dem Höhepunkt seiner Karriere gar, keine Konzerte mehr zu geben - er arbeitete danach nur noch in Studios, wo er rund um die Uhr aufnehmen konnte.
www.sandrinerevelbd.com  www.knesebeck-verlag.de

 

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http://glenngould.ca

Cinerama / Ein Letztes Wort zum Kino

 Charles Berberian * Blutch / beide: Reprodukt

Hier trifft zweimal die siebte auf die neunte Kunst... 1 Eine Auswahl der besten schlechtesten Filme der Welt - incl. restaurierter Original-Tonspur verspricht Cinerama von Charles Berberian im Untertitel. Der bekennende Cineast, setzt mit dem knapp über 50 Seiten dünnen Büchlein einigen Perlen des Trashfilms ein launiges Denkmal - durch eigene Kindheitserinnerungen. Obskure türkische, italienische, arabische oder japanische Filme der 60er und 70er Jahre haben sich da verewigt und werden nun genüsslich seziert - in Technicolor (Farben Berberian/Doo).

2 Letzte Worte? Ist es im Mobile Media-Zeitalter schon so schlimm um die große Leinwand bestellt? Auch der französische Comickünstler Blutch thematisiert mit kurzen Comic-Essays die Wirkung seiner Jugendikonen, wie etwa Burt Lancaster, Claudia Cardinale, Jean-Luc Godard oder Luchino Visconti. Mit Witz und Selbstironie zeichnet Blutch in seinem “Letzten Wort zum Kino” eine intellektuell etwas sperrig um die Ecke biegende Kritik am Film – und dabei im Grunde eine Kritik an der Realität und umgekehrt. Noch das letzte Wort, das Alain Resnais zukommt: "...ein Genuss. Blutchs grafischer Einfallsreichtum und die Ausdruckskraft seiner Figuren verblüffen mich stets aufs Neue.”

 

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www.reprodukt.com

Der Alte Mann und das Meer

Thierry Murat nach Ernest Hemingway / Knesebeck

Salao - glücklos, am Ende. Oder doch nicht? Kuba 1952. Ebenso wie Ernest Hemingway bei seiner letzten zu Lebzeiten erschienenen, Pulitzer-Preis-gekrönten Geschichte “Der alte Mann und das Meer“ mit seinen stets verschwenderisch gestreuten Energien haushalten musste, geht es seinem Protagonisten Santiago, der schon sehr lange keinen großen Fang mehr an Land gezogen hat und nun ohne Wasser & Nahrung mit dem kapitalen Schwertfisch ringt. Auch Zeichner Thierry Murat (*1966) teilt sich seine Kräfte für die vorliegende Graphic Novel-Adaption ein - mit großen Panels, schlicht gehaltenen Ton-inTon-Tusche-Zeichnungen & Farben sowie Schreibmaschinen-Typo für die Texte geht er diesen literarisch schwergewichtigen Brocken an. Dramaturgisch ist es sein Kniff, eine Rahmenhandlung einzubauen, in der sich Hemingway die Geschichte vom Fischer-Jungen Manolin erzählen lässt - und sich im Epilog am Ende des Tages an die Schreibmaschine setzt.
www.knesebeck-verlag.de

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Love Addict

Koren Shadmi / Egmont

Der Liebeskäfer. K. ist Single - und mit seinem Liebesleben latent unzufrieden. Nachdem er sich von seinem Womanizer-Kumpel Brian dazu überreden lässt, einen Account bei der hippen Dating-Plattform Lovebug zu eröffnen, läuft es in Sachen Amore schlagartig besser - zumindest was den körperlichen Aspekt angeht. K. trifft Frauen am laufenden Meter und kommt meist `zum Schuss´. Mehr und mehr wird er in die Dating-Routine hineingezogen und beginnt sich zu verändern... Koren Shadmi aus Israel arbeitet in Brooklyn für alle namhaften New Yorker Verlage - als Illustrator & Catoonist. Sein möglicherweise teils autobiografischer Comic lässt den Leser etwas unbefriedigt zurück - trotz stimmiger Zeichnungen. Denn neben doch einigen Wiederholungsrunden auf den 220 Seiten des Bandes bis zum offenen Ende wird vor allem nicht plausibel, wieso der bebrillte Durchschnitts-Nerd K aus dem Stand so viel Erfolg bei durchweg recht attraktiven Vertreterinnen des schwachen Geschlechts haben sollte. www.koren.shadmi.com
www.egmont-graphic-novel.de

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Die Alten Knacker 3 - Der, Der Geht

Wilfrid Lupano - Paul Cauuet / Splitter

Ja, das Landleben...Wie Wilfrid Lupano (*1971, Szenario) und Paul Cauuet (*1980, Zeichnungen) ihr eigenwilliges altes Charakterkopf-Trio Pierrot, Mimile & Antoine inszenieren, ist auch im dritten Band noch leidlich originell anzusehen. Pierrot sitzt als Anti-Bienensterben-Aktivist im Polizeigewahrsam, Mimile erleidet einen Schwächeanfall bei der Hausarbeit, während es Antoines Enkelin Sophie diesmal nicht nur mit den Dreien und ihrem Baby, sondern auch mit der verrückten alten Berthe zu tun bekommt. Des weiteren geraten Pestizid-Lobbyisten in die Schusslinie einer Honigkanone und ein weiterer komischer alter Kauz from down under tritt auf - einbeinig. Nach dem Überraschungserfolg der bisherigen Trilogie stellt der Splitter-Verlag auch Lupanos übrige Werke in einer vierseitigen Beilage vor, so etwa die zu 3/4 erschienene Westernserie Der Mann der keine Feuerwaffen mochte oder den hoch gelobten Einzelband Ein Ozean der Liebe. Und auch mit den Knackern, den alten, geht es demnächst noch weiter...
www.splitter-verlag.eu

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Troja 3 - Die Rätsel von Samothrake

Nicolas Jarry - Erion Campanella Ardisha / Splitter

Nicolas Jarrys Troja - zum dritten. Und noch immer sind wir innerhalb der Geschichte nicht in der von der Sage überlieferten Kriegshandlung angekommen - obwohl das erneut extra von John McCambridge entworfene martialische Cover anderes suggeriert.

Weiter werden diverse Handlungs-Vorgeplänkel und Scharmützel um Achilles, Paris & Helena, Agamemnon & Menelaos, Zentauren, Flüchtlingsströme (sic!) und einen nur durch ein Opfer zu besänftigenden Leviathan inszeniert.

Hardcover, eine Karte mit der antiken Welt des Mittelmeeres im 13. Jahrhundert v. Chr. bildet den vorderen Inneneinband, Listen der Schauplätze, der vorkommenden Gottheiten und Protagonisten am hinteren Ende, komplettieren auch diesen Band - die Zeichnungen verantwortet erneut EC Ardisha, die Farben sind einmal mehr das Terrain von Andrea Scoppetta.

www.splitter-verlag.eu
Band 1 * Band 2 *

 

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Fugazi Music Club

Marcin Podolec / Egmont

Auf dem letztjährigen Comicfestival München standen Comics aus underem Nachbarland Polen im Fokus, der vorliegende Band wurde von Egmont angekündigt - jetzt liegt er in deutscher Übersetzung vor. Warschau 1990: Der Eiserne Vorhang ist gefallen, Musik aus dem Westen ist mehr denn je angesagt. Waldemar ´Waldek Czapski´ gründet den (mittlerweile längst wieder geschlossenen) Fugazi Music Club, der sich nach und nach, trotz Kinderkrankheiten und Problemen mit der Security oder Skinhead-Schlägern zur wichtigsten Konzert-Location Polens mit Auftritten von einheimischen Bands wie Dzem, Kult oder Voo Voo bis hin zu internationalen Acts wie Paradise Lost mausert. Der trotz seines jungen Alters schon profilierte polnische Comic-Autor und -Zeichner Marcin Podolec (*1991) aus Jaroslaw arbeitete sich in das vor seiner Zeit gelaufenen Geschehen ein, dass er nun wortreich auf 185 Seiten (nicht ohne Längen) ausbreitet. Ein 30-seitiger Fotoanhang illustriert die Geschichte des Clubs zusätzlich.
www.egmont-graphic-novel.de

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