Reviews World 12-2015

Junun
Various Artists - Nonesuch / Warner
 
In der Pole-Position diesmal: ein Soundtrack zu einer Weltmusik-Crossover-Doku. Mit seinem Film „Junun“ (`Manie´ oder `Liebeswahn´) begleitet Paul Thomas Anderson (u.a. „Inherent Vice“) seinen musikalischen Kollaborateur Jonny Greenwood („There Will Be Blood“) von Radiohead und den israelischen Komponisten und Dichter Shye Ben Tzur nach Indien, um dort ein Album mit den einheimischen Qawwali-Musikern des Rajasthan-Express aufzunehmen. Neben dem technisch-medialen Aspekt, dass „Junun“ seit Oktober exklusiv auf dem Streaming-Kanal MUBI läuft, ist das Setting des musikalischen Crossover-Treffens bemerkenswert. Der Maharadscha von Jodhpur beherbergte die fremden Gäste in der Mehrangarh-Festung aus dem 15. Jahrhundert, wo Greenwood (mit Hilfe von Radiohead-Produzent Nigel Godrich) im provisorischen Studio inmitten nordindischer Sufi-Musiker für die Begegnung klassiknaher Klänge vom Subkontinent inklusive des charakteristisch-devotionalen Gesangsstils mit westlichen Sounds sorgte. Weiterer Pluspunkt: das sorgfältig gestaltete Booklet (mit bemerkenswerten Fotos des indischen Ensembles von Ian Patrick) & Digipak.
 TIPP

Live-Video

www.nonesuch.com

 
Smockey - Pre´volution / The Good Ones - Rwanda Is My Home
Outhere / Indigo * IRL - H´Art
 
Erneut eine verdienstvolle Veröffentlichung der von München aus operierenden Urban Africa-Spezialisten des kleinen Outhere-Labels, die den führenden Hip-Hop-Star aus Burkina Faso im Oktober auch für einige Live-Daten nach Deutschland geholt haben. Im Oktober 2014 jagte das Volk den seit 1987 zunehmend autokratisch regierenden Präsident Blaise Compaoré aus dem Amt. Auf demokratische Wahlen folgte schnell ein Militär-Putsch. Der rappende Aktivist Smockey setzte sich als Sprecher der Jugendbewegung Le Balai Citoyen ("Besen des Volkes") für eine bessere Zukunft in seiner westafrikanischen Heimat ein. Smockeys Studio wurde daraufhin von Soldaten zerstört, er musste in den Untergrund abtauchen. Sein vorliegendes Album "Pre'volution: Le president, ma moto et moi", dass sich in französisch gerappten Texten mit Armut, Arbeitslosigkeit, Korruption, Kriminalität und Mißständen in Bildung, Infrastruktur und Gesundheitswesen befasst, sollte zeitgleich mit erneuten demokratischen Wahlen in Burkina Faso erscheinen – deren Termin wurde einmal mehr verschoben. Smockeys Protest bleibt virulent. Play Tracks 3,4. www.outhere.de
Ein brutaler vom Bürgerkrieg gebeuteltes Land als das ostafrikanische Ruanda ist kaum vorstellbar. The Good Ones sind ein Quartett von Überlebenden des grauenvolles Genozids von 1994, als Hunderttausende Tutsi (und moderate Hutu) von Mörderbanden umgebracht wurden. Das Ensemble von Farmern, das aus Angehörigen aller drei Volksgruppen (Tutsi, Hutu, Twa) besteht, bemüht sich, mit bluegrass-ähnlichem Staßenarbeiter-Folk & Bauernliedern zu Texten im heimischen Dialekt Kinyarwanda um aktive Aufarbeitung und Versöhnung. "Rwanda is My Home", das zweite Album der vier Musiker, wurde von Grammy-Preisträger Ian Brennan (u.a. Tinariwen) produziert, der auch einordnende Liner Notes im Booklet beisteuert.
 






 
Clarks in Jamaica
Various Artists - VP / Groove Attack
 
The `baddest´ shoes in Jamaica. Clarks Shoes & the `likkle island´ – insbesondere in den 80er Jahren eine ganz besondere Beziehung. „If you didn´t have on a Clarks, you couldn´t get a girlfriend“ meint DJ Trinity, dessen „Clarks Booty Skank“ Teil des Audio-Nachfolgers zu Al Fingers 2012 im UK erschienenem Buch „Clarks in Jamaica“ (gleiches Cover) ist. Von Fingers stammen auch die Liner Notes zur vorliegenden Compilation. Das speziell karibische Lifestyle-Phänomen inspirierte bis 1988 eine Reihe bekannter Reggae-Acts wie Dillinger, Eek-A-Mouse, Culture, Supercat oder Little John, Tracks zum Thema aufzunehmen, von denen 21 hier versammelt sind. 2010 war der Hype durch Vybz Kartel neu angefacht worden, mit einem Song betitelt – Sie ahnen es – „Clarks“.
http://clarksoriginals.com/editorial/clarks-in-jamaica
 
 
Gentleman´s Dub Club - The Big Smoke
Easy Star / Groove Attack
 
Dub from the UK - das neue Album des eigentlich schon sehr englischen Gentleman's Dub Club (dennoch auf dem amerikanischen Easy Star Label) wurde vor allem in Prince Fattys Brighton Studio und im Evergeen Studio des Band-Managers und Tontechnikers Harry Evergreen in Hackney Wick eingespielt. Mit Instrumenten aus den 60´s und 70´s sollte für "The Big Smoke" ein möglichst authentischer Roots- & Dub-Sound mit moderner Techniken kombiniet werden. Mehrstimmiger Gesang zu eingängigen Tunes, fette Bläsersätze & Guest Appearances von UK-Reggae-Kollegen wie Natty oder Tenorsaxophonist Josh Arcoleo (u.a. bei Joss Stone) lohnen das mehrfache Hören & fuhren folgerichtig auch schon einige positive Reaktionen ein, u.a. von David Rodigan. Bis auf weiteres sind nur Konzertdaten im OK angekündigt – schade. Und wieso eigentlich? www.gentlemansdubclub.com  TIPP
 
Leo & The Lineup - Hit The Streets
Pork Pie / Broken Silence
 

„Copenhagen City Reggae“ – und nicht nur das, „Hit The Streets“, das zweite Album der neunköpfigen dänischen Retro-Formation um Frontmann & Songwriter Kevin Leo und die drei Sängerinnen Chloe Williams, Line Olsen & Jessie England, bietet außerdem Ska, Rocksteady & Soul-Anleihen während der fast einstündigen Laufzeit.
Einige der 15 Eigenkompositionen lahmen im Albumverlauf allerdings und ob es die x-te, uninspirierte Version von „Wooly Bully“ gebraucht hätte, sei dahingestellt. Pluspunkt ordentliche Verpackung: Digipack mit 12-seitigem 4c-Booklet, auch als Vinyl-LP (letztere beim US-Label Jump Up). Play Tracks 2,3,11.
www.facebook.com/THELINEUP
www.porkpieska.com

 
 
Eivør- Slør
Tutl / Cargo
 
Im Februar diesen Jahres war Eivør Palsdottir mit dem auf englisch gesungenen “Bridges” in dieser Rubrik zu Gast – nun liegt mit „Slør“(„Schleier“) schon das zweite Alben innerhalb eines Jahres von der zwischen Dänemark, Island und den Färoern wechselnden Sängerin vor. Beide Alben sind laut Eivør miteinander verbunden: „Das Songwriting: erst auf Englisch und direkt danach kam es auf Färöisch in meinen Kopf – wie eine Art Spiegelbild.“ Dennoch handelt es sich nicht um die gleichen Songs, die diesmal sämtlich in Palsdottirs Muttersprache Färöisch eingesungen wurden – einmal mehr unter der Aufsicht von Produzent, Arrangeur & Keyboarder Tróndur Bogason, der um Eivors ätherischen Färöer-Folk einen elektropoppigen Wall of Sound baut. Was die Texte angeht, geht es um Fernweh, Trennungen und die Suche nach Frieden – laut Waschzettel, denn es gibt keinerlei Übersetzung der auf färöisch abgedruckten Texte im Booklet. Im November konnten sich auch deutsche, österreichischen & schweizer Fans von Eivors Live-Qualitäten überzeugen. www.eivor.com  

 
Rita Marley - Who Feels It Knows It
Shanachie / In-Akustik
 
Die resolute, teils in Ghana residierende Chefin des Marley-Clans stand in jungen Jahren nicht ausschließlich als eine von drei legendären I-Threes mit Marcia Griffith & Judy Mowatt mit Ehemann Bob Marley auf der Bühne. Ihr erstes, wichtigstes & bestes Solo-Album erschien 1981, mit einigen eingängigen Roots-Stücken und diversen Anleihen bei 60´s und 70´s Soul. Dem ausgekoppelten "One Draw" wurde wegen seines Ganja-philen Textes teils Radio-Airplay verweigert – skurril die hier leider nicht enthaltene Maxi-Version incl. ´school-teacher´-Dialog-Part. Achtung, auf einigen Internet-Portalen wird zur Reissue-LP ein anderes (mit dem Bob Marley zugeschriebenen ´Wet´-Foto als) Cover angezeigt.
Play Tracks 1-4,8. www.ritamarleyfoundation.org
www.facebook.com/OfficialRitaMarley
 VINYL-TIPP
 
Äl-Jawala - Hypnophobic
Jawa - Soulfire Artists / Groove Attack
 

Anfang Januar steht das neue Album von Äl-Jawala aus Freiburg ins Haus. Das Balkan-Pop-Ensemble bietet auf „Hypnophobic“ schon auch mal Anleihen bei Ska, Electro-Swing oder Orientalischem, damit es nicht zur Schubladisierung in unmittelbarer Umgebung von `Tzigan-Tzigan´ - & Polka-Klischees bleibt. Die fünfköpfige Truppe aus ehemaligen Straßenmusikern hat außerdem einen guten Ruf als Live-Band zu verteidigen.
Ab 14. Januar 2016, eine Woche nach „Hypnophobic“-Album-Release ist Äl-Jawala deshalb wieder mal auf Tour in Deutschland, u.a. am 30.1. im Münchner Ampere.
www.jawala.de

 LIVE-TIPP
 
Lion D - Heartical Soul / Patko - Maroon
Bizarri Records / EV * Love & Unity / Musicast
 
Roots Reggae aus Italia – da kommt einem zuerst einmal Alberto D'Ascola aka Alborosie in den Sinn. Und eben der hat auch beim aktuellen, soliden Album von Dubplate-Fan Lion D., des Sängers mit den italienischen und nigerianischen Wurzeln, seine Finger maßgeblich im Spiel – als Multiinstrumentalist & Co-Autor aller Tracks und als Produzent, in dessen Shengen Studio in Kingston „Heartical Soul aufgenommen wurde. Gesungen wird in breitestem jamaikanischen Patois, meist über rootstypische Themen wie soziale Gerechtigkeit , `Motherland Africa´ und natürlich Spiritualität. Guest Appearances von Alborosie selbst, Sandy Smith, Mr. Vegas, Kemar und Ken Boothe.
Play Track 3, "Bangarang".
www.facebook.com/liondreggae

Aus dem am nördlichen Rand des südamerikanischen Kontinents gelegenen Kleinstaat Suriname hört man auch musikalisch in unseren Breiten eher wenig. Dem dort beheimateten, am Mikro zwischen Patois & Kreol wechselnden Roots-meets-World Artist Patko wird in der Reggae-Szene dennoch künftig einiges zugetraut. Dessen neues Album heisst nicht umsonst "Maroon", ist der Künstler doch selbst ein Nachkomme in den Dschungel geflüchteter Sklaven, wie ein Viertel der Bevölkerung Surinames. Seine Themen sind denn auch Sklaverei, Armut, Korruption und die eigene Identität: aufgrund des surinamischen Bürgerkriegs wurde Patko im Nachbarland Französisch-Guayana geboren und verbrachte dort fast seine gesamte Jugend. International erfolgreiche Musiker wie Alborosies (s.o.) Drummer Fitzroy Green, Fantan Mojah von den französischen Rappern Asasin oder Saxophonist Dean Fraser sorgen für Farbtupfer. www.patkomusic.com