Filmfest München 2013

Cinesoundz-Nachlese:

Sounds of Cinema & filmtonart & 31. Filmfest München 2013

 
 
fotos © sr / cinesoundz  

Musik, Gewalt, Beziehungskisten...

Den Auftakt des 10-tägigen Film- & Festmarathons bildete einmal mehr Sounds of Cinema im Circus Krone. Präsentator Roger Willemsen sorgte zwischen meist gefällig & ohne große Überraschungen dargebrachtem "Crime Time"-Filmmusik-Repertoire von "Der Pate" bis "Vertigo" für bewährtes Bonmot-Feuer. Die zu Ehren des diesjährigen Preisträgers eingestreuten freundlichen "Kriminalmuseum"- & "Pater Brown"-Themen fielen da im direkten Vergleich ab - was mehr der leicht zahnlosen Beatsektion des Rundfunkorchesters unter Ulf Schirmer anzulasten war als Komponist Martin Böttcher. Bevor der Gentleman der deutschen Genremusik mit dem - von einer ähnlich gegen Null groovenden Mundharmonika geschlagenen - "Old Shatterhand"-Thema geehrt wurde, galt es noch die längliche Laudatio zum "Look & Listen"-Preis von BR-Hörfunkdirektor Dr. Johannes Grotzky zu überstehen. Wenig gelungen auch Teile der von Sender-Azubis gezimmerten Rückprojektion mit überdimensional im Wind wehender US-Flagge oder unsäglichen Indianer-Schattenrissen. In Erinnerung bleiben werden dagegen die Standing Ovations für Böttcher. Ob der Preis für altgediente Branchengrößen zwingend dotiert sein muss? Eine insbesondere in den Redebeiträgen gestraffte Veranstaltung 2014 könnte mehr Ideen & musikalischen Schwung vertragen. Stream: Sounds of Cinema 2013.

Tags darauf präsentierte der BR Filmmusik-Interessierten seinen Ehrengast Martin Böttcher (TV-Themenabend am 13.7.!) noch einmal im Interview mit dem Klassik-Moderatoren-Duo Sampson & Keller. filmtonart konnte zwar Vorjahresgast Giorgio Moroder mit Kollege Harold Faltermeyer Anno 2013 nicht ganz ersetzen, punktete aber mit guter Organisation, einem herausragenden Panel zur Musik im Naturfilm und der Präsentation der Gewinnerbeiträge des alljährlichen Kompositionswettbewerbs. Wer es dennoch nicht zur Veranstaltung geschafft hat, kann das Programm über diverse Mitschnitte im Bayerischen Rundfunk nachvollziehen.

Ein musikalischer Auftakt also für das diesmal diesbezüglich deutlich leisere Filmfest - lediglich eine stiefmütterlich platzierte Ginger Baker-Doku & der lose assoziierte "Auftritt zur Doku" von ECM-Jazzer Charles Lloyd im Amerikahaus bemühten sich heuer um Gehör. Es gab zwingendere Themen, optisch eingefasst von einem endlich entschlackten Trailer in Kinomalerei-Optik:

Seeblaue Augen strahlen durch eine modische Sonnenbrille aus einem - bis auf die Augenpartie - gebräunten Gesicht. Das macht Sommerlaune, doch führte das Motiv des diesjährigen Filmfestplakats ein wenig in die Irre, denn was das Publikum in den 421 Filmvorstellungen in München zu sehen bekam, war meist alles andere als eitel Sonnenschein. Zum 31. Mal boten die acht Festivaltage Gelegenheit, Filme aus aller Welt zu sehen – diesmal aus 48 Ländern – und dabei einen Blick in fremde Kulturen zu werfen. Auffällig war der Wille vieler Regisseure, mit ihrem Film auf aktuelle soziale Missstände im eigenen Land aufmerksam zu machen.
Bestes Beispiel war wohl „Heli“ von Autor und Regisseur Amat Escalante, der aufzeigt, wie unberechenbar die aus dem Drogenkrieg resultierende Gewalt in das Leben einer mexikanischen Durchschnittsfamilie einbricht und der letzten Samstag mit dem ARRI/OSRAM Award zum „besten ausländischen Film“ gekürt wurde. „Ich möchte Schwangere und empfindliche Personen im Publikum darauf hinweisen, dass in dem Film explizite Gewaltszenen gezeigt werden“, warnte Jurymitglied Maria Schrader. Sie bezog sich damit vor allem auf eine quälend lange Folterszene, die schon in Cannes für Diskussionen gesorgt hatte. Ebenfalls schon in Cannes gezeigt wurde der diesbezüglich ähnlich aus dem Ruder laufende "Only God Forgives" von Regisseur Nicolas Winding Refn, der erneut zu Gast war und in einem überfüllten "Filmmakers Live"-Gespräch dem aufgedrehten, einst stilisierten Brutalismen ebenfalls nicht abgeneigten Retro-Ehrengast Alejandro Jodorowsky ("...I like violence.") huldigte.
Mit einem ungewohnten Maß an Gewalt schockierte schließlich auch Jia Zhangke in „A Touch of Sin“. In seinem Episodenfilm lässt er seine Protagonisten aus der Arbeiterschicht mit Gewehr, Pistole und Messer Amok laufen, um das heutige China als Wirtschafts-Giganten zu porträtieren, dessen Werte von innen zersetzt werden. Erschütternd nicht nur das spritzende Blut, die Weigerung der Kamera wegzusehen, sondern gerade die Beiläufigkeit, mit der Leben ausgelöscht werden. Das ist schwer erträglich – einige Kinosessel leerten sich während der Vorstellung.

Dass man schwierige Lebenssituationen auch mit Humor schildern kann, zeigten dagegen zwei eindrucksvolle Filme aus Russland und Kasachstan. In „The Empty Home“ schickt Regisseur Nurbek Egen die schwangere Ascel, die einen lokalen Drogenboss in ihrem kirgisischen Dorf heiraten soll, für eine Abtreibung nach Moskau. Und der elfjährige Talgat sorgt im gleichnamigen Film von Zhanna Issabayeva in den Slums von Almaty für sich, seine kleine Schwester, den kindlich zurückgebliebenen Onkel und die alkoholkranken Eltern. Mit Sinn für Situationskomik inszeniert, schlagen sich Ascel und Talgat jeweils auf so kecke und unerschütterlich optimistische Weise durch, dass trotz des harten Filmstoffes immer wieder vereinzelte Lacher aus dem Publikum kamen. Auf mal heitere, mal melancholische Art nahmen sich zwei wunderbare Filme des Themas vom Grandseigneur und seiner jugendlichen Muse an. Stargast Michael Caine hatte anlässlich der Europa-Premiere von "Mr. Morgans Last Love" mit dem CineMerit-Award einen hinreichend guten Grund, dem Festival mit einem gutgelaunten Abstecher die ersehnte Prise Weltstar-Glamour zu verabreichen, bevor er nebst Gattin in den Urlaub düste. Fernando Truebas "L´Artiste et son modèle" gibt Jean Rochefort eine ähnliche Steilvorlage für einen Spitzenplatz im Alterswerk. Die Namen der jungen Schauspielerinnen, für die beide Streifen wohl jeweils den bisherigen Höhepunkt einer vielversprechenden Karriere bedeuten, sind übrigens Clemence Poésy & Aida Folch.
Und welche Themen beschäftigten die deutschen Filmemacher? Die meisten der 14 Filme in der Reihe 'Neues Deutsches Kino' drehten sich um Beziehungen. Unter bis ins reiche München hinein zunehmend unsicheren ökonomischen Rahmenbedingungen rücken offenbar Familie und Freunde in den Vordergrund. Zum ersten Mal in der Geschichte des Münchner Filmfests gewann mit „Love Steaks“ von Jakob Lass ein Film in allen vier Kategorien – Regie, Produktion, Drehbuch und Schauspiel – des Förderpreises Neues Deutsches Kino. Umso bemerkenswerter, weil es hier kein herkömmliches Drehbuch, sondern nur ein dramaturgisches Skelett ohne vorgeschriebene Dialoge gab. Eine Entscheidung der Jury, bestehend aus Regisseurin Sherry Hormann, Schauspielerin Bibiana Beglau und Produzent Gerhard Meixner, die durchaus auf Kritik stieß, schließlich gab es noch andere starke Filme wie zum Beispiel „Finsterworld“ mit skurrilen Charakteren, teils schrägen Dialogen und Einfällen. Debüt-Regisseurin Frauke Finsterwalder ähnlich griffige Statements zu entlocken, gelang im folgenden Q & A im Audimax der HFF leider nicht einmal dem engagierten Präsentator Günter Keil.

Gelegenheit zu Diskussionen mit Filmemachern, Drehbuchschreibern und Produzenten boten wie immer diverse Panels & Rahmenveranstaltungen. Abseits der vielen Promi-Events & Branchentreffen wurde auch intensiv über die Zukunft der Branche diskutiert, so mit Writing Producer Frank Spotnitz beim Writer´s Room-Gespräch oder Media-Futurist Gerd Leonhard. Zwischen Black Box und Bayrischem Landtag etablierte sich dergestalt für Interessierte gar zuweilen eine neue "Isarmeile". Unweit auch der Hofbräukeller, Präsentationsort für die Bewegtbildstudie 2020 von Grimme-Institut, LfK & MFG aus Baden Württemberg, die mit einem gut besetzten & gut moderierten Panel kombiniert wurde. Professionelle Einblicke in die Produktion spektakulärer CGI-Szenen von Blockbustern wie "Iron Man 3", "Oblivion" oder "Skyfall" bot auch das exzellent organisierte Animation Meeting, das dafür sorgte, dass auch das Sendlinger Tor-Kino wieder ins Filmfest eingebunden war. Insgesamt gab es wohl in diesem Jahr nur einen Verlierer, die "Venedig" gewidmete Open-Air-Reihe - wetterbedingt.

Filmfestchefin Diana Iljine jedenfalls zeigte sich am letzten Festivaltag entspannt – die Besucherzahlen scheinen die letztjährigen (71.688) voraussichtlich - bei weniger gezeigten Filmen - zu übertreffen, die Kinos Münchner Freiheit und der City/Atelier-Komplex in der Innenstadt, welche die MaxX-Kinos am Isartor als Abspielort ersetzen, seien vom Publikum gut angenommen worden, auch der Innenhof der City/Atelier-Kinos habe sich zu einem neuen Festivaltreffpunkt neben dem Gasteig entwickelt. Sogar der gegenüberliegende Beate Uhse-Shop brachte sich mit einer nostalgischen Plakat-Hommage an den bemüht-komischen deutschen Erotikfilm ein (eine Sonderausstellung der Pasinger Fabrik). Dennoch wird bereits über Verbesserungen für nächstes Jahr nachgedacht – etwa über die Kooperation mit einem Fahrrad-Verleiher, um die nun über die Stadt verteilten Kinos besser verbinden zu können. (Insbesondere freie) Journalisten mussten zwar die Erhöhung der Akkreditierungsgebühren verkraften, bekamen aber auch neue, den straffen Festival-Plan potentiell entzerrende Online-Sichtungsmöglichkeiten geboten. Der Festivalcharakter jedenfalls soll gestärkt werden. „Es wird wieder mehr Musik und öffentliche Partys für das Publikum geben“, verspricht die Festivalchefin. Dann würde auch das - im nächsten Jahr möglicherweise dezent variierte - Sommer-Sonne-Gute Laune-Plakat bestens passen. sr & gb