Beim Betrachten all der bunten und zum Teil erstaunlich
komplexen Bildtafeln in diesem kiloschweren Buch mag man kaum glauben, dass bis
vor nicht allzu langer Zeit der Begriff Infografik vorzugsweise mit einfachen
Diagrammen in Balken- oder Tortenform in Verbindung gebracht wurde. Zwar
basieren die visualisierten Informationen auch hier auf "schnöden" Daten, Zahlen,
Fakten und Statistiken, die heute sekundenschnell und von beinahe
überall abrufbar sind, doch reicht der Zugriff auf diese Rohdaten an sich nicht
mehr aus, um die Welt zu verstehen. Ob Klimawandel oder Weltwirtschaftskrise,
die Zusammenhänge werden in Zeiten der Globalisierung immer komplexer – zu
vielschichtig, um sie noch in Balken oder Tortenstücken darzustellen.
Infografiken dienen heute als „visuelles Makroskop“ wie es
Paolo Ciuccarelli, Wissenschaftlicher
Direktor des Mailänder DensityDesign Research Lab, in seinem im Buch
enthaltenen Essay fordert: „Hinter diesem Ausdruck steht der Gedanke,
Visualisierung als Hilfsmittel zu betrachten, welches es den Menschen
ermöglicht, das unendlich Komplexe zu sehen und nicht, wie bei einem Mikroskop
oder einem Teleskop das unendlich Kleine oder das unendlich Ferne.“
Der vorliegende Band dokumentiert den jüngsten Aufschwung
von Informationsgrafiken seit der Jahrtausendwende. Der moderne Anspruch an die
Datenvisualisierung generierte eine neue Bildsprache: Information darf bildhaft
und humorvoll sein. Denn Untersuchungen haben gezeigt, dass man sich Informationen
länger merken kann, wenn man sich Bilder dazu einprägt. Und so macht das
Schmökern in dem farbenfrohen Schwergewicht nicht nur Spaß, es bleibt nebenbei
auch einiges hängen: Zum Beispiel das Bild des menschlichen Fußabdrucks von
Stanford Kay, der sich aus Kreisen unterschiedlicher Größe zusammensetzt – den
CO2-Ausstößen der einzelnen Staaten. Das sieht auf den ersten Blick aus wie
eine Schaubild zur Fußreflexzonenmassage. Dass die USA die gesamte "Ferse"
bedecken und China den "Ballen", behält man aber sicherlich besser im Gedächtnis
als eine einfache Zahl in einer Tabelle.
So unterschiedlich – und manchmal mehr visuell ansprechend
als leserlich – die neue Generation von Infografiken auch sein mögen, sie haben
alle dasselbe Ziel: Ein Stück der Welt erklären. So veranschaulicht die Grafik „Body
Parts“ von Peter Grundy, wie viel die Körperteile eines Menschen wert sind.
Oliver Reichenstein und Takeshi Tanka haben für „Cosmic 140 – Art for Geeks“
die 140 einflussreichsten Twitterer auf einer Sternenkarte verortet. „The
Digital Dump“ von Andrew Effendy geht der Frage nach, was mit unserem
Elektroschrott passiert und David McCandless nutzt für „The Billion Dollar Gram“
skalierte Farbfelder, um die Größenordnung einzelner Geldbewegungen in der
internationalen Politik und Wirtschaft zueinander in Beziehung zu setzen.
Ein Einführungsteil mit vier Essays beschäftigt sich mit
Hintergrundinfos und der geschichtlichen Entwicklung der Informationsgrafik. 64
historische Beispiele begleiten den Text als visuelle Timeline von 1144 bis
2010 n. Chr. – darunter die berühmte Zeichnung, in der Leonardo da Vinci Ende
des 15. Jahrhunderts die idealen menschlichen Proportionen visualisiert oder
die erste diagrammatische Darstellung eines U-Bahn-Netzes (London) 1933 von
Harry Beck.
Im Hauptteil werden 200 Grafik-Projekte mit über 400
Infografiken vorgestellt, inklusive jeweils einer kurzen Erläuterung und einem
Fact-Sheet mit Infos zu Designer und Datenquelle. Das Feuerwerk an Farben, Icons, geometrischen Formen und kalligrafischen
Ornamenten lässt niemanden unbeeindruckt und ganz nebenbei erfährt man
Erstaunliches über das Leben im 21. Jahrhundert – denn schließlich wollen die
vielen Bilder im Buch ja nur eines: Informationen vermitteln.
Autorin: Sandra
Rendgen ist Kunsthistorikerin und freie Bildredakteurin u.a. für TASCHENs Interiors
Now!. Sie entwickelt interaktive Medien-Installationen für Museen und
Institutionen.
Herausgeber: Julius
Wiedemann
zog nach seinem Grafikdesign- und Marketingstudium nach Japan und
arbeitete in Tokio als Kunstredakteur für digitale Medien und
Designmagazine. Er ist Editor zahlreicher TASCHEN-Titel aus der Digital-
und Medienreihe. www.taschen.com
Essays: von Informations-Architekt Richard Saul Wurman, Guardian
Datablog Editor Simon Rogers, Paolo Ciuccarelli und Sandra Rendgen.
480 Seiten, im Format 24,6 x 37,2 cm, ISBN 978-3-8365-2879-5,
Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch
Ein
paar Cinesoundz-Favoriten auf den folgenden Seiten: 112,142/143,
152/153, 180f, 202/203, 223, 270, 287, 332/333,342/343, 410, 434, 466. | |
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