REVIEWS COMIC 09-2017


 

comic 08 17 TrumpAnimalism

 Animalism / doonesbury:Trump! / Trump Twittert

Frank Hoppmann / Kunstmann * G. B. Trudeau / Splitter * Shannon Wheeler / Cross-Cult

1 Trump Kunstmann

Das Tierische im Menschen. Ein Portrait des 45. amerikanischen Präsidenten (kein Witz!) eröffnet die Frankfurter Frank Hoppmann-Ausstellung und den begleitenden Bildband bei Kunstmann. Ein Karikaturenband zum Einstieg - aus so hochnotpeinlichem wie aktuellem Anlass. Neben Trump weitere Aquarelle üblicher Verdächtiger, deren leider reale Zerrbilder täglich aus den Medien grüßen: Kim Jong-un, Putin, Erdogan, die GroKo und sonstige deutsche Populitiker... Ergänzt wird der 70-seitige Hauptteil, in dem auf den hinteren Rängen auch einige Künstler drankommen, durch nicht weniger unappetitliche Detailstudien von Schweinen und Fliegen... animalisch eben. "Hoppmann ist kein Langweiler. Hoppmann ist ein Beobachter." (Caricatura-Chef Martin Sonntag im Vorwort) -sr

www.kunstmann.de

TIPPs
 

1 Trump2

Eine amerikanische Dramödie. Leser der seit den 70ern erscheinenden Doonesbury-Zeitungsstrips hätten es wissen müssen: Trump! Der US-amerikanische Karikaturist Garretson Beekman Trudeau begleitete schließlich bereits Trumps Anfänge als Unternehmer, sowie seinen unfassbaren Weg von den TV-Bildschirmen bis ins Weiße Haus. “My first raw impression? Biggest. A**hole. Ever. Must draw.” Nun können die gesammelten Trumpits auch auf deutsch, retrospektiv goutiert werden - die bissige Chronik einer irrsinnigen Personalie, veredelt durch Donald `Ich habe die besten Worte´ T.´s Kommentare zu G.B. Trudeaus Schaffen: "Ein widerlicher Schmierlappen. Ein Wichser. Ein totaler Loser." Inklusive Essay von Sven Jachmann. www.splitter-verlag.de


Trump twittert bekanntermaßen - jeden Sch... die sich anbietende (galgen?-) humoristische Steilvorlage hat die Redaktion allerdings noch nicht erreicht. www.cross-cult.de

franquin - meister des humors / mythos zyklotrop

beide: André Franquin / Carlsen

1 Franquin der Große

Zumindest hingewiesen sei auf den im Rahmen des hier bereits gewürdigten Carlsen-Jubiläums veröffentlichten Werkschau-Band Franquin - Meister des Humors, der ab August im Handel erhältlich ist.

Leider konnte die fast 400-seitige Würdigung von André Franquins Schaffen vom Verlag nicht für eine Rezension zur Verfügung gestellt werden.

Für Freunde franko-belgischer Comics gleichwohl eine Anschaffung, die für den heimischen Coffee-Table ...Sie wissen schon. -sr

www.carlsencomics.de * www.carlsen.de
 
 

comic 08 17 FRANQUIN

2 1946 bereits übernahm Franquin die beliebten Figuren Spirou et Fantasio von ihrem Entwickler Joseph Gillain, bekannter als Jijé. Franquin entwickelte die Serie zum Klassiker, baute Fantasios Reporter-Part aus und führte u.a. die Figur des Marsupilami ein - auf seinem Werk bauten diverse Teams auf, die die Serie ab 1969 fortführten. Ab 1980 erst erschien die Serie auch als Spirou und Fantasio in Deutschland, nachdem es vorher Episoden als Fridolin und Ferdinand oder Pit und Pikkolo bei Kaukas Fix und Foxi gegeben hatte. im vorliegenden Sammelband Mythos Zyklotrop sind im Rahmen der gebundenen Spirou und Fantasio-Hardcover-Ausgabe drei zu Beginn der 1960er Jahre von Franquin inszenierte Geschichten um den zum Wahnsinn tendierenden, im französischen Original Zorglub getauften Wissenschafter chronologisch zusammengefasst - auf S. 60 tritt er hier erstmalig auf. Vor seiner Befriedung durch S&F war Z´s Plan nichts weniger als die Weltherrschaft - mittels des von ihm entwickelten Zyklostrahls wurden Menschen zu willenlosen Zyklomännern, die sich durch rückwärts gesprochene Wörter verständigten. Fantomas lässt grüßen - die Technikbegeisterung, die in den frühen 60ern auch Franquin erfasste, illustriert das wunderbar gewählte Titelbild. Das Salz in der Suppe einmal mehr die den drei Abenteuern vorgeschalteten 25 redaktionellen Seiten mit bibliographischem Hintergrund. www.spirou.com * www.carlsencomics.de *

 TIPP

comic 08 17 Mythos Zyklotrop

Irokesen / Kameraden 

Patrick Prugne * Benoît Abtey - Jean-Baptiste Dusséaux - Mayalen Goust / beide: Splitter

1 "Wenn ich kein Zeichner wäre, wäre ich wohl ...ein Zeichner - oder vielleicht ein Maler." Neues von Patrick Prugne - einmal mehr aus dem Land der Großen Seen. Bereits ein Jahr nach Erscheinen jenseits des Rheins liegt ein weiterer Band des französischen Aquarell-Spezialisten mit dem besonderen Faible für die Epoche der Indianerkriege auch auf Deutsch vor: Irokesen. Der seit jungen Jahren leidenschaftlich zeichnende und bald in der Werbung tätige Prugne imitierte zunächst seine Lieblingskünstler wie Pratt, Manara oder Loisel, bis er über Kooperationen bei Humor- und Historien-Comics, u.a. mit Tiburce Oger (u.a. Buffalo Runner) zu Beginn der 2000er Jahre in der Aquarell-Technik seinen eigenen Stil fand. Dieser entfaltet sich nun auch in der vorliegenden Geschichte auf bis zu zweiseitigen, meisterhaften Wasserfarben-Panoramen. Der Betrachter begleitet den Gründer von Québec, Samuel de Champlain im Juli 1609 auf einer verhängnisvollen Strafexpedition entlang der Ufer des `Irokesenflusses´ durch Neufrankreich. Wer erstmalig auf Prugnes Schaffen trifft - im Splitter-Verlag sind (neben weiteren Historien-Titeln) ab 2009 auch weitere seiner abgeschlossenen Indianer-Bände erschienen, etwa Canoe Bay, Frenchmen oder Pawnee. -sr www.splitter-verlag.de

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comic 08 17 Irokesen

2 Gejagt von Rot und Weiß. Die fiktive Annahme, die die Leser von Kameraden mittels einer spannenden Geschichte in die blutigen Wirren der Russischen Revolution entführt: nur unschuldige Stellvertreter, nicht die Zarenfamilie selbst, wurden gegen Ende des 1.Weltkrieges von den an die Macht drängenden Bolschewiken exekutiert. Der junge Gardesoldat Wolodja verliebt sich ausgerechnet in die rothaarige Anastasia, die jüngste Zarentochter - eine wohl unmögliche Liebe, die nun gegen alle Widerstände ankämpfen muss. Der dem Zarengold der Romanows hinterherjagende, unnachgiebige Verfolger Stalin wirft seinen unheilvollen Schatten nicht umsonst drohend über das Titelbild - und die Liebenden. Obwohl der Leser das Paar in den drei Großkapiteln des Buches verschiedentlich aus den Augen verlieren wird, ordnet sich der so opulent wie strikt dreifarbig gezeichnete historische Rahmen der 1976 geborenen Illustratorin Mayalen Goust und des Autoren-Teams von Benoît Abtey &  Jean-Baptiste Dusséaux wo nötig frei der Romanze unter - Dr. Schiwago lässt grüßen. -sr

www.splitter-verlag.de

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comic 08 17 SplitterKameraden

Alix - Gesamtausgabe - Band 2

Jaques Martin / Egmont Comic Collection

Erst im Frühjahr wurde an dieser Stelle auf den 1. Teil der Gesamtausgabe der Abenteuer des gallischen Häuptlingssohnes Alix von Jacques Martin hingewiesen. Ebenso sorgsam editiert liegt nun der zweite Teil vor, mit den drei Bänden Die Tiara des Oribal (1958), Die Schwarze Kralle (1959) und Die Verlorenen Legionen (1965). Die Geschichten erschienen vor diesen Album-Erstveröffentlichungen jeweils im Tintin-Magazin, meist mit ca. zwei Jahren Vorlauf. Sie führen den Titelhelden von der syrischen Wüste über Pompeji bis nach Rom, wo Alix als Adhoc-Gladiator einen kampfunerfahrenen Sklaven davor bewahrt, in der Arena abgeschlachtet zu werden. Und sich darüber mit dem so wohlhabenden wie intriganten Römer Garofula anlegt... Martin arbeitete 1967 ein Szenario für eine geplante RealTV-Serie aus, für das sich das internationale Produktionskonsortium (u.a. ORTF, RAI & ZDF) bereits den Kostümfundus des Monumentalfilms Der Untergang des Römischen Reiches gesichert hatte. Dennoch wurde die Historienserie, für die aus Alix ein Markus als Titelheld geworden wäre, nicht realisiert, wie man aus dem (von Reddition-Chef Volker Hamann redaktionell betreuten) Vorwort von Patrick Gaumer erfährt. Über 30 Jahre sollte es dauern, bis es eine Alix-Animationsserie in Frankreich ins TV schaffte. Für den Februar des nächsten Jahres ist bei der dritte Teil der - gedruckten deutschen - Gesamtausgabe bei Egmont geplant. -sr

www.egmont-comic-collection.de

 

comic 04 17 Alix2

 Magritte - dies ist keine biografie

Campi & Zabus / Carlsen

comic 08 17 Magritte

Eine unbekannte `Lady in Red´ nimmt den Leser ab Seite 8 bei der Hand, um in Magrittes Geheimnisse einzudringen... www.carlsen.de

 
TIPP
 

Nein, Dies ist keine Biografie. Denn um die zu schreiben, "wären zehn Zeilen schon zu viel" - nach René Magrittes eigener Einschätzung. Eine Mischung aus Graphic Novel und Kunst-Lehrbuch trifft es schon eher. Während sich der Maler selbst betont bieder gab, war sein Werk revolutionär - und für Laien nicht einfach zu deuten. Wer sich nicht extrem gut mit dem Oeuvre des bedeutenden Surrealisten auskennt, dessen Todestag sich am 15. August zum 50. Mal jährt, wird den einen oder anderen Hinweis zum Verständnis vieler Bilder wohl auch dankbar annehmen. Der belgische Autor Vincent Zabus und der italienische Zeichner Thomas Campi lassen stellvertretend für den Leser den fiktiven Normalo Charles Singullier eine Melone erwerben & aufsetzen, die es in sich hat: ihren Träger nämlich in die überbordende Bilderwelt Magittes mitnimmt. Dort begegnet er einer attraktiven Kunsthistorikerin, die Magrittes Frau & Muse Georgette ähnlich sieht, Charles anleitet - um dann wieder unvermittelt zu verschwinden. Das ist in Konzeption & Gestaltung virtuos gemacht, zumal Campi es schafft, nicht nur Magrittes Stil nachzuempfinden, sondern auch einen leichten 60´s Retrotouch in der Rahmenhandlung hinzubekommen. Stimmiges Szenario also, auch wenn zwischendurch mal das eine oder andere Bild etwas zuviel direkt spricht. -sr

Maggy Garrison 2 - der mann in meinem bett

Lewis Trondheim & Stéphane Oiry / schreiber & leser


Eine ganz gewöhnliche Frau - nur etwas genervt von allem... Working-Class-Pragmatikerin Maggy Garrison entert ihr zweites Abenteuer. Wobei Der Mann in meinem Bett, was Handlung & Figuren angeht, direkt an den gelungenen Debütband aus dem Frühjahr anknüpft. Maggy hat jetzt gut lachen, denn Kleinganove Alex, der gern in die gleichen Kneipen geht wie unsere Anti-Heldin, scheint ihr gegenüber ehrlich zu sein. Maggy´s (Ex-)Freundin bei der Polizei, Sheena, mag er offensichtlich weniger. Ist Alex ehrlich genug für eine ernsthafte Beziehung und vielleicht gar mehr? Ansonsten will das Geld aus dem Coup in Brighton gut versteckt werden (gar nicht so einfach, wenn man es eben nicht in den Staubsaugerbeutel packen will - ein `running gag´). Und auch als Hilfs-Detektivin kann MG nun offiziell weiterarbeiten. Mal sehen, wie lange das Hoch in Maggy´s Leben, inszeniert von Autor Lewis Trondheim und dem französischen Zeichner Stéphane Oiry, anhalten wird. Wir bleiben jedenfalls gern dran, bei dieser ganz untypisch die andere Seite des Kanals feature´nden französischen Produktion. -sr http://schreiberundleser.de *  Maggy Garrison-Trailer

 TIPP
 

comic 08 17 Maggygarrison2

Fritz The Cat

Robert Crumb / Reprodukt

Es zog sich und zog sich - der Termin für den Re-Release von Robert Crumbs unmöglichem Fritz The Cat wurde ein ums andere Mal verschoben. Aber nun ist der da, innen schwarz-weiß, außen in leuchtend-knalligen Farben & hochwertigem Einband. Den Underground-Kater zeichnet wie seinen Schöpfer bekanntermaßen die eine oder andere Obsession aus, nichts ist dem hedonistischen Vieh heilig. Für sein ausschweifendes Leben, zwischen Sex, Booze, Gras und gelegentlichen pseudo-revolutionären Umtrieben braucht es teils starke Nerven beim Leser. Crumb selbst ließ 1972 eine einmal zu viel erniedrigte `Gespielin´ den kruden Kater per Eispickel abmurksen, um der ausufernden Vermarktung seines prominentesten Antihelden wieder Herr zu werden - schon der eigentlich recht nah am Original erzählende, gleichnamige Zeichentrickfilm Ralph Bakshis hatte ein Jahr zuvor nicht mehr Crumbs Zustimmung gefunden. Der dauergeile Kater bleibt gleichwohl bis heute Kult, erst im Frühjahr erzielte heuer ein Fritz-Originalcover Crumbs von 1969 bei einer Auktion eine Rekordsumme für ein US-Comic: 717.000 Dollar. -sr www.reprodukt.com * www.crumbproducts.com

comic 08 17 FRITZ

Mohnblumen aus dem Irak 

Brigitte Findakly & Lewis Trondheim / Reprodukt

Noch einmal Lewis Trondheim: Für den Band Mohnblumen aus dem Irak agiert der Franzose als Zeichner - an der Seite seiner Lebensgefährtin, der renommierten Koloristin Brigitte Findakly (u.a. für Joann Sfar oder Jean-Yves Ferri), die hier (erstmals als Autorin) Jugenderinnerungen an ihre irakische Heimat rekapituliert. Als Tochter eines irakischen Vaters und einer französischen Mutter beschreibt sie den von kulturellen Missverständnissen und politischen Eingriffen geprägten Alltag ihrer Familie, die in den 70er Jahren schließlich ins französische Exil ging. Auslöser für die Entscheidung, ihre Kindheitserinnerungen festzuhalten, war die Nachricht, dass der sogenannte `Islamische Staat´ auch vor der Zerstörung der antiken Stätten von Nimrud nicht haltmachte, in denen Brigitte Findakly als kleines Mädchen gespielt hatte. Immer noch ist der Band traurig aktuell, als Blick auf eine der Barbarei und Zerstörung preisgegebene Region, aus der Menschen gezwungen sind, zu fliehen. Trondheim illustriert all das mit in wenigen Strichen zum Leben erwachenden Menschenfiguren - wie aus einem Kinderbuch, wären da nicht die kleinteiligen Panels und der viele Text. Professionell koloriert wurden die Zeichnungen - natürlich - von seiner Partnerin. -sr www.reprodukt.com

 
 

comic 08 17 mohnblumen

Mickey´s Craziest Adventures / Geheimnisvolle Melodie

Lewis Trondheim & Keramidas * Cosey / beide: Egmont Comic Collection

Aller guten Dinge sind drei - ein wahres Lewis Trondheim-Festival in dieser Ausgabe. Für die erste von zwei Disney-Hommagen tut sich der angesagte französische Comic-Künstler mit dem Pariser Zeichner Nicolas Keramidas zusammen, der 9 Jahre für Disney an Kinofilmen mitwirkte. Die Kolorierung übernahm wie bei Mohnblumen (s.o) Trondheims Partnerin Brigitte Findakly. Den beiden Kollegen fielen laut Vorwort auf einem Trödelmarkt 44 rare Ausgaben von Mickey´s Quest aus den 60ern in die Hände (drei besonders gelungene 12 Cent-Cover sind auf der Seite mit den Eingangsbemerkungen abgebildet). Darin pro Heft jeweils eine Seite mit fortlaufenden Mickey´s Craziest Adventures: Mickey & Donald auf einem Parforce-Ritt durch verschiedenste Schauplätze - ein wahrer Schatz und ein Glücksfall auch für die Leser, die sich nur zu gern auf den charmanten Fake einlassen. Zu dumm, dass rund die Hälfte der Hefte von Mai ´62 bis Februar ´69 "unwiederbringlich verloren" sind. Vielleicht tauchen einige davon doch zukünftig irgendwo auf und der liebevoll designte Spaß kann weitergehen... Empfehlung! -sr www.egmont.de

TIPP
 

comic 08 17 dineyHomCraziest

 

Auch der Schweizer Zeichner/Autor Bernard Cosandey aka Cosey wird für eine zeitgleich veröffentlichte, hübsch gebundene Disney-Hommage ins Rennen geschickt. Und die ist ebenfalls lohnend, wenn auch deutlich gemächlicher angelegt. Von den Bildern näher am frühen Stil des Studios, und mit einigen Silly-Syphonies-Referenzen garniert, führt Coseys Geschichte die Figuren als Kreativschaffende ein. Mickey als Drehbuchautor, Minnie als Komponistin und Goofy immerhin als (Ex-)Besitzer eines Second-Hand-Buchladens (und, noch kurzzeitiger, einer `Jacht´). Das Ganze zieht sich dann etwas textlastig in die Länge und kann im direkten Vergleich zeichnerisch wie inhaltlich mit dem Schwung von Trondheim & Keramidas nicht mithalten. Immerhin erfahren wir aber nicht nur, Wie Mickey Seine Minie traf, sondern auch, wie Pluto zu seinem Namen kam. -sr

www.egmont-comic-collection.de
 1 disney Melodie rep  

Die Traumfabrik - der riese und die nackttänzerin

Fréderic Blier & Laurent Galadon / Panini

Als die Bilder laufen lernten... hält es auch Célestin nicht mehr in der Provinz. Das tollpatschige Riesenbaby verlässt Elternhaus und Arbeitsplatz als Kanzleihelfer und versucht seine Träume Ende der 1920er Jahre in der aufkeimenden Filmindustrie von Paris zu verwirklichen. Angefixt von einer zum Kinobetreiber avancierten ehemaligen Rummelplatzbekanntschaft ergattert er einen ersten Arbeitsplatz in einem Filmstudio – weit unten in der strengen Hierarchie: als Hilfsarbeiter beim Bühnenbild. In seiner freien Zeit widmet er sich allerdings dem Drehbuchschreiben und kann ein frühes Script sogar einem Produzenten vorlegen. Sein erstes Filmwerk mit einer mysteriösen Schönheit als Star wird aber wohl nicht ganz legal auf Leinwand zu bannen sein... Laurent Galadons Geschichte wurde von Fréderic Blier im Patina-Look aufs Papier gebracht, acht Seiten mit vom Lyoner Insitut Lumière gelieferte Hintergrundseiten zu den Kindertagen der Kinotechnik ergänzen Band 1 von Die Traumfabrik, der per Cliffhanger endet - mit der ersten Klappe zu Célestins Film... -sr

www.editionmoderne.ch * www.institut-lumiere.org

 

comic 06 17 Traumfabrik

Fortmachen

Nils Knoblich / Edition Moderne

Fortmachen - das war trotz Repressalien für Viele im Osten lange ein Dauerthema. Autor & Zeichner Nils Knoblich, im Hauptberuf Trickfilmer & Filmakademie-Dozent für Animation ist 1984 in der DDR geboren und (gerade noch) ein kleines Stück aufgewachsen. Seine die deutsch-deutsche Vergangenheit mittels der Geschichte seiner Familie thematisierende Graphic Novel wurde kürzlich von der Schweizer Edition Moderne veröffentlicht. Ein kleines Glossar ("Bückware", "Falten gehen", "Klassenfeind", "Schwerter zu Pflugscharen") rundet die persönliche, eindringliche, aber auch humorvolle Schilderung des Alltags während der letzten Jahre der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik ab. Knoblichs Eltern mussten sich, nachdem ihr Ausreiseantrag im Sommer 1989 endlich genehmigt worden war, kurz darauf tatsächlich verraten fühlen, als die DDR kollabierte und die Mauer geöffnet wurde. Dennoch liegen sie sich im letzten Bild der Geschichte im Scheinwerferkegel ihres roten (West-)Kleinwagens den Armen. - sr

www.editionmoderne.ch * www.nilsknoblich.com 

comic 08 17 fortmachen

wege zum ruhm / lotusfüsse

Chen Uen / chinabooks * Li Kunwu / Edition Moderne

Der taiwanesische Comiczeichner Chen Uen wählt mit Vorliebe historische Stoffe aus der chinesischen Antike. In seiner Trilogie Helden der Östlichen Zhou-Zeit setzt er sich mit einer kulturell bedeutenden Epoche in China auseinander, die als „Die Zeit der Streitenden Reiche“ (475-221 v. Chr.) in die Geschichtsbücher einging. Damals war das Gebiet, auf dem sich das heutige China erstreckt, ein Flickenteppich vieler Mächte – 43 Herrscher wurden ermordet, über 400 Schlachten geschlagen. Vor dem Auge des Lesers nimmt diese Zeit in einer Reihe von packenden Porträts Gestalt an. In Band eins, Wege zum Ruhm, beweist zum Beispiel Sunzi seinem ungläubigen König, dass man auch unerfahrene Hofdamen binnen einen Tages zum strammen Exerzieren bringen kann, der verschlagene Krieger Yao Li lässt seine Frau ermorden und sich den Arm abschlagen, um so das Vertrauen seines Feindes zu erschleichen, die Dorfschönheit Xi Shi wird von den Mächtigen herumgereicht und am Ende tragisch geopfert. Sie alle sind fester Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses der Chinesen, wobei Chen Uen kein Historiker ist und sich eine gewisse Freiheit der künstlerischen Erzählung herausnimmt. Wie die bisherigen Comicveröffentlichungen von Chinabooks, einem kleinen schweizer Verlag, in dem vor allem chinesische Sprachbücher veröffentlicht werden, sind auch die drei Bände des Werkes zweisprachig gehalten und mit chinesischem Glossar versehen. Sie werden wie in China üblich von hinten nach vorne und von rechts oben nach links unten gelesen. Eine besondere Erwähnung verdient die Übersetzung des promovierten Sinologen Marc Hermann, der es schafft, die Geschichten trotz großer kultureller Distanz flüssig ins Deutsche zu übertragen. -gb

www.chinabooks.ch

 
 

comic 06 17 Helden der O stlichen Zhou Zeit Band 1 1

Gleich mitten hinein ins ländliche China der vorletzten Jahrhundertwende führt Li Kunwu seine Leser auf den ersten Seiten von Lotusfüsse, worin er die Geschichte seines Kindermädchens Chunxiu erzählt. In eine Zeit, als es auf dem Markt noch öffentliche Schreiber und Zauberer gab, als die Männer noch Zöpfe trugen und den Frauen die Füße gebunden wurden, um eine attraktive Ehekandidatin für gut betuchte Bewerber abzugeben. Schuhgröße 17 – eine Fußlänge von 10 cm – galt als Schönheitsideal sogenannter `Lotusfüße´. Dafür wurden Mädchen im Alter von fünf bis acht Jahren die Zehen gebrochen und unter die Fußsohlen gebogen. Sie waren damit quasi bewegungsunfähig. Auch Chunxiu erlitt dieses Schicksal. Fokussiert auf ein Frauenleben, lässt Li Kunwu beinahe die gesamte chinesische Geschichte des 20. Jahrhunderts Revue passieren: das Ende der letzten Kaiser-Dynastie, die Erste Republik 1912, Mao Tse-Tung mit seinen politischen Programmen wie „Der große Sprung nach vorne“ von 1958 und die „Kulturrevolution“ ab 1966. Dabei wird deutlich, wie die Menschen sich der Willkür beugen mussten, um zu überleben. Li Kunwus expressiver Pinselstrich verleiht dem in schwarz-weiß gehaltenen Werk einen wunderbar eigenwilligen Charakter, der kaum an „Manhua“ erinnert, wie die modernen, von der japanischen Manga-Ästhetik beeinflussten Comics in China genannt werden. -gb

www.editionmoderne.ch

 

comic 06 17 Lotusfuesse Li Kunwu

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