Filmfest München 2014


Cinesoundz-Nachlese:

Sounds of Cinema & filmtonart & 32. Filmfest München 2014

 


 

fotos © sr / cinesoundz * 

Filmfest München 2014 - Geschichten in lauten Bildern und leisen Tönen

Musikalischer Auftakt des Filmfests: Die Sounds of Cinema im Circus Krone mit dem Rundfunkorchester (& stimmgewaltigem Chor) unter Ulf Schirmer. Der neue Präsentator Götz Alsmann bemühte sich um Lockerheit, die Auswahl der Programmbeiträge und ihre Darbietung blieb leider blass. Einzige Ausnahme, auch bei der erneut unsäglichen Rückprojektion: das dynamische Elfman-Hauptthema aus "Alice In Wonderland". Die einfallslose Praxis der eigentlich überflüssigen "Look & Listen"-Preisvergabe an gutsituierte Hollywoodkomponisten wie den diesjährigen Preisträger Patrick Doyle darf in Frage gestellt werden - wird es beim BR aber wohl bis auf weiteres nicht. Auch tags darauf bei Filmtonart fühlte sich der langjährige Beobachter in vielen der Panels wie in der x-ten Wiederholungsschleife - bis hin zum leider etwas hüftsteifen Abschlußkonzert einer aus deutschen Filmmusikkomponisten gebildeten Band um Ali N. Askin. Auf dem am nächsten Tag startenden Filmfest gab es in diesem Jahr ebenfalls kaum musikalische Akzente, auf den Partys dominierte Musik aus der Konserve. Schön, dass da die aus der bayrischen Filmbranche rekrutierten Filmfoniker zumindest am Sonntag noch live für einen gelungenen Ausklang sorgten: im ARRI-Studio - mit einem beachtlich-knackigen Programm aus aufs Trailerbild gespielten Suiten zu Bavaria-Produktionen wie "Das Mädchen Rosemarie", "Die Budddenbrooks", "Die Unendliche Geschichte" oder "Hotel Lux", sowie eingestreuten Genre-Medleys. Visuelle Effekte dagegen standen im Mittelpunkt des -erstmals im Royal veranstalteten- Animation Meeting, wo sich zu üblichen Verdächtigen wie Trixter & Scanline heuer auch die Eye-TV-Puppenspieler & die Multimedia-Installateure von mayerempl.de gesellten.

Der Festivalcharakter solle gestärkt werden, versprach Leiterin Diana Iljine im letzten Jahr für das Münchner Filmfest 2014. Der diesjährige Trailer mit stilisierten Feuerwerksraketen und glitzernden Sternen versprach tatsächlich Glamour – den das Festivalzentrum am Gasteig dann leider nach wie vor schmerzlich vermissen ließ. Im Innenhof des „Kulturbunkers“ aus den 1980ern mag einfach keine rechte Stimmung aufkommen - weder bei Open-Airs, Parties oder Red-Carpet-Events -angesichts von Bierbänken & insbesondere des neuen, aus witterungsfesten Kunststoffplatten zusammengesetzten „roten (Flicken)Teppichs“. Dagegen hat sich inzwischen der Innenhof der City-Kinos als intimerer Cineasten-Treffpunkt etabliert. Die Passage glänzte dank Beate-Uhse-Koop wieder mit einer Sexfilm-Plakate-Ausstellung und glücklicherweise ergänzten zwei weitere City-Säle & das nahegelegene Sendlinger Tor-Kino die sonst vom Gasteig bis zur Münchner Freiheit über die gesamte Innenstadt verteilten Abspielorte. Echte Kinofans lassen sich von den weiten Distanzen aber offenbar nicht schrecken – das Filmfest München hat ein treues Publikum. In diesem Jahr wurde sogar die Rekordmarke von 75.000 Besuchern geknackt - trotz parallel laufender Fußball WM mit erfolgreichem deutschen Team - beachtlich.

Die Stärken des Filmfests liegen weniger in den mal mehr, mal weniger gelungenen, mal mehr, mal weniger öffentlichen Empfängen, Galas & Parties, sondern im Filmprogramm mit seinen Einblicken in fremde Kulturen & Lebenswelten, sowie in der Begegnung von Filmemachern & Publikum. Einige Beispiele: Die aufwühlende Mischung aus Sozialdrama und Rachethriller „Rhymes for Young Ghouls“ von Jeff Barnaby etwa spielt in einem Reservat der Mi`kmag-Indianer im Kanada der 1970er. Die 15-jährige Aila übernimmt nach dem Suizid ihrer Mutter die Drogengeschäfte ihres inhaftierten Vaters. Ein Teil des Geldes geht an einen fiesen Regierungsbeamten, um nicht in eine der berüchtigten staatlichen Residential Schools eingeliefert zu werden. Das passiert dennoch - in einer Schlüsselszene wird dem Mädchen das Haar abgeschnitten. Im lebhaften Q&A erklärt die engagierte Hauptdarstellerin Kawennahere Devery Jacobs, selbst Mohwak und wie alle Darsteller des Films mit Bezug zum Leben im Reservat, dass dies nicht etwa aus Hygienegründen geschah. „Das Abschneiden der Haare bedeutete: Du bist keine Indianerin mehr. Beim Dreh ist man bei mir zum Glück auf eine Perücke ausgewichen.“

Um Haare und Identität geht es auch in der Gesellschaftsstudie „Pelo Malo“ der venezolanischen Regisseurin Mariana Rondòn: Der 9-jährige Junior lebt mit Mutter und kleinem Bruder in einer Sozialwohnung in einer Beton-Wohnmaschine in Caracas. Er mag Schönheitswettbewerbe und möchte sein krauses Haar glätten, was in der Mutter homophobe Panik auslöst. „Eines der ersten Bilder, die ich für diesen Film im Kopf hatte, war ein großes Mehrfamilienhaus und die Tausenden von Geschichten, die sich hinter diesen Wänden abspielen“, sagt Mariana Rodón. „Eine davon ist die von Junior – ein Film darüber, wie die Unterdrückung der Identitätsfindung Beziehungen zerstören kann – sogar die zwischen Mutter und Kind.“ Ins ARRI-Kino zurückzukehren, war für den Ex-HFF-Studi Wim Wenders ein besonderes Fest. Mit Co-Regisseur Juliano Ribeiro Salgado, Sohn des weltbekannten Fotografen Sebastião Salgado stellte er ihr gemeinsames, vom Lebenswerk Salgados inspiriertes neues Werk "Das Salz der Erde" vor. Ohne fixe Bilder im Kopf ist Doris Dörrie an ihr neuestes Werk herangegangen. Ihre Doku „Dieses schöne Scheißleben“ ist eine Studie über die Stärke der Frauen und die Kraft der Musik in der männerdominierten Welt der Mariachi von Mexico City. Nach der ARRI-Vorführung erzählte die gut gelaunte Filmemacherin von den Dreharbeiten: „Vieles entsteht ja daraus, dass etwas nicht klappt – gerade in Mexiko. Während der Wartezeiten kamen wir mit Leuten auf der Plaza ins Gespräch, wurden an Bekannte von Bekannten weitergereicht und fanden so schließlich unsere Protagonisten.“ Zum Beispiel die erste weibliche Mariachiband Mexicos, deren rüstige Großmütter im Film voller Inbrunst ihre Lieder schmettern - vom Leben, dem Tod und den Dingen dazwischen.

Mit leisen Tönen und einem Hauch von Melancholie dagegen verzauberten in diesem Jahr gleich mehrere Filme. Zu den berührendsten gehört wohl „The Quiet Roar“ des Schweden Henrik Hellström. Darin macht sich die 68-jährige sterbenskranke Marianne per LSD-Trip auf eine Reise in ihr Unterbewusstsein, zurück in die Vergangenheit, wo sie sich selbst als 25-Jährige begegnet – während eines Ferienaufenthalts mit ihrem Mann und den Kindern in den Bergen. Von außen betrachtet scheint alles in Ordnung zu sein, doch im Monolog mit ihrem jüngeren Selbst deckt Marianne die tiefe Sprachlosigkeit auf, die zwischen den Eltern herrscht – und schließlich zur Zerrüttung der Familie geführt hat. Der Trip ist von Einsamkeit geprägt, gibt Marianne aber auch die Chance, zu sich selbst zu finden. Ein Gefühl von (tröstlicherer) Einsamkeit hinterlässt auch ”Those Happy Years“ des Italieners Daniele Luchetti. Rom 1974: eine Zeit der 'Happenings' und Super-8-Filme, der Libertinage versus Bürgerlichkeit. Nach Eifersuchtsdramen und einem Aufenthalt in einem feministischen Strandressort findet ein Paar schließlich zueinander, indem es sich voneinander löst. Soll eine Geschichte nicht enden, darf sie gar nicht erst beginnen, dagegen das Fazit am Ende von „Ein Augenblick Liebe“ der Regisseurin Lisa Azuelos, in dem eine unwiderstehliche Sophie Marceau und der charmante Francois Cluzet einander verführen – und das Publikum gleich mit. Last but not least noch der Hinweis auf zwei charmante Zeichentrick-Beiträge vom diesjährigen, besonders erfolgreichen Kinderfilmfest: Die Legende der Prinzessin Kaguya im Stil alter japanischer Tuschemalerei vom Studio Ghibli-Altmeister Isao Takahata inszeniert & in jahrelanger, analoger Zeichenarbeit entstanden - sowie der poetische tschechische Kraken-Kurzfilm "Der Kleine Cousteau", eine zauberhafte Hommage an den legendären französischen Unterseeforscher. Viele bewegende Geschichten, auch abseits der diesjährigen Filmfest-Preisträger. Schön, dass der eine oder andere Film wohl auch noch den Weg in die deutschen Kinos außerhalb des Festivals finden wird. texte: gb / sr fotos: 1x sounds of cinema * 13x sr/cinesoundz