REVIEWS ELECTRO 01-2018

 


 

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C.O.W. 牛 - $hanghai Mone¥ EP / C.O.W. 牛 EP

Compost / Groove Attack

Hype durch Anonymität. In der Kunst allgemein wie in der Populärmusik ein gerne gezogener Trumpf von Banksy bis zu den Residents: die Verschleierung der Federführenden. Hinter C.O.W., dem neu bei Compost gelandeten Elektro-Art Projekt, steckt offenbar ein vierköpfiges deutsch-chinesisches, im Dezember 2015 gegründetes Produzentenkollektiv - gerade soviel wurde verlautbart. Beim PULS Festival 2016 in München trat man erstmals ins Rampenlicht: Primitive Pixelmasken, Stimmsample-Ansagen und putziges Herumgehampel auf der Bühne. Musikalisch dominier(t)en YMO-Gedächntis-Synthies, ohne dass Innovativität oder kompositorische Finesse des legendären japanischen Trios erreicht würden. So ganz trägt der verschleppte Instrumentalsound, garniert von gelegentlichen Autotune-Vocals, weder ein ganzes Album, noch die jetzt hübsch exotisch bunt verpackte Doppel-Vinyl-EP. www.cowcowcowcow.com * www.compost-rec.com

 VINYL-TIPP
 

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White/JUICE-Video - gedreht im Chinaladen Regensburg.

Dillon - Kind / Anna of the North - lovers

PIay It Again Sam * Different Recordings / beide: Rough Trade

1 Kind, das neue, dritte Album von Youtube-Phänomen Dominique Dillon de Byington aus Brasilien wurde mit einem Produzententrio, Langzeitkollaborateur Tamer Fahri Özgönenc, dem New Yorker Nicholas Arthur Weiss sowie dem Schweizer Samuel Savenberg geschrieben & produziert. Das Team setzt einmal mehr auf die Intensität des mehrsprachigen gesanglichen Vortrags von Dillon, der hin und wieder an Björk erinnert, Role Model wohl auch in Sachen künstlerische Eigenständigkeit. Die aus Brasilien stammende Sängerin agiert hier eingebettet in Piano, Elektronik & Bläsersätze. Am Ende wird es zur Abwechslung einmal technoid. Dillons übergreifendes Thema? Natürlich die Liebe. Play Tracks 2-5,7. Im nächsten Jahr wieder Liveauftritte ab 28. Februar bis 09. März - in Leipzig, Hamburg, Köln und am 09. März im Münchner Technikum. www.dillonzky.com

LIVE
 

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2 Auch über das Internet bekanntgeworden: Anna Of The North, das Synthiepop-Projekt von Anna Lotterud aus Gjövik (Norwegen) und des neuseeländischen Produzenten Brady Daniell-Smith. Bis die Zeit reif war für das nun vorliegende Debüt Lovers, verteilten sich etwa 60 Millionen Streams auf diverse Pre-Release-Titel (früher hätte man wohl Single dazu gesagt), die aber keineswegs erneut verbraten werden - nicht einmal der erst Anfang des Jahres veröffentlichte Track Oslo ist Teil des neuen Albums. Rein virtuell war der Hype dabei nicht, Sängerin Anna Lotterud (gern mit viel Hall unterlegt und mit sich selbst im Choreinsatz) modelte im AotN-Rahmen auch und absolvierte Auftritte bei internationalen Showcase-Festivals. Hier regiert der auf Albumlänge etwas gleichförmig geratene Wohlklang, interessante Ecken & Kanten sucht man meist vergeblich. Play Tracks 1,2,9. Video * Webpräsenz

 

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Ikea-Pop: Anna Lotterud of the North

Hercules & Love Affair - Omnion

Mr. Intl - Skint - Bmg Rights Management / Warner

Spätestens mit dem vierten Studioalbum Omnion offenbart sich Hercules & Love Affair als Soloding des frisch von diversen Drogenabhängigkeiten kurierten Andrew Butler, der im Booklet mit artsy Haircut & Gewand posiert - und einmal, für das schwer persönliche Fools Wear Crowns auch als Sänger agiert. Im übrigen überlässt der rothaarige Songschreiber & Produzent diversen Gast-Vokalisten das Mikro: Faris Badwan von The Horrors, Hamed Sinno, schwuler Aktivist der libanesischen Indieband Mashrou‘ Leila, der New Yorker Singer-Songwriterin Sharon Van Etten (die zuletzt auf das Massaker im Pulse Club Orlando mit einem Song reagierte) oder den drei Schwestern des isländischen Elektro-Ensembles Sísý Ey. Dazu kommen alte Bekannte wie Rouge Mary (2x) und Gustaph (gleich dreimal). Der Wechsel beim Gesang sorgt für Abwechslung, diesmal auf Kosten der Ravetauglichkeit. Neben Disco hier vermehrt auch Synthiepop-Einflüsse, bis hin zu OMD-Referenzen. Play Tracks 2,4,6,10. http://herculesandloveaffair.net

 
 

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Gagarin - Corvid

Geo Records

Unter dem Projektnamen Gagarin agiert Graham `Dids´ Dowdall – zeitweiliges Mitglied bei Pere Ubu & Roshi ft Pars Radio, manchen auch bekannt für frühere Kooperationen mit Nico, John Cale oder der Band of Holy Joy. Gegeben wird instrumentale, sich nicht um Genres scherende Electronica, live wie im Studio öfters ins Experimentelle lappend. Corvid bezeichnet auf lateinisch zwar einen Vertreter aus der Gattung der Rabenvögel, tatsächlich fällt das mal noisy, mal sphärisch klingende Album aber an mehreren Stellen durch die Verwendung von Field Recordings, insbesondere von Singvogelstimmen auf. Der vorliegende Soundscape-Tonträger ist zu Teilen das Ergebnis einer Ausschreibung für das in Surrey beheimatete Landschafts-Kunst-Projekt Inspiring Views. https://soundcloud.com/gagarin-1

 
 

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 Sven Väth - In The Mix - The Sound of the 18th Season

Various Artists - Cocoon / Alive

In the mix...Mit seiner Zusammenfassung der 18. Saison auf Ibiza, von mediterranen After-Party-Insidern als eine der besten seit langer Zeit eingestuft, zieht Cocoon-Chef Sven Väth im Vergleich zum Vorgänger-Set die Temposchraube wieder etwas mehr an. 26x Techno-, Trance- & House Grooves paradieren und Big Names wie John Tejada schauen vorbei, ein saisonaler House-Hit wie Avalon von &Me eröffnet die zweite Scheibe und die guten alten Stereo MCs werden zum Abschluß der ersten CD von Adam Port zum Tanz gebeten. Eddie Fowlkes mit Sängerin Na Dee oder Fort Romeau lassen auch mal weibliche Schwingungen auf das Partyvolk los - die insgesamt allerdings insgesamt etwas zu kurz zu kommen scheinen. Doch das Format hat seine ergebenen Follower - Folge 19 dürfte gebongt sein. Play Tracks I-3 bis 5,7. II-3 bis 5.

www.cocoon.net/sven-vath
 
 

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Dave Clarke - The Desecration of Desire

Skint - Bmg Rights Management / Warner

90´s-Underground-Techno-Ikone Dave Clarke tut sich mit verschiedenen Vokalisten (u.a. Gutter Twin Mark Lanegan, Mt. Sims oder Gazelle Twin) zusammen und veröffentlicht nach 14 Jahren mit The Desecration of Desire wieder ein Studioalbum. Vorausgegangen war die Single Charcoal Eyes (Glass Tears). Zwischenzeitlich war Clarke eher als Remixer großer Electro- & Pop-Acts (u.a. Depeche Mode, Chemical Brothers, Placebo oder Underworld) und mit eigener Radioshow White Noise in Erscheinung getreten. Auf den 10 Tracks des vorliegenden nominell dritten, aber ersten Albums in kompletter Eigenregie, navigiert Clarke mehrfach in der Nähe von Industrial- & Post-Punk-Klängen - u.a. covert er mit Sängerin Louisahhh den 1981er Wave-Titel Is Vic There? (von Department S). Am 02.12. im Berliner Tresor - am 03.Februar 2018 in der Münchner Roten Sonne. www.daveclarke.com

 

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Kerri Chandler - DJ Kicks

Various Artists - !K7 / Indigo

"We go through Brooklyn, Soho, Midtown, The Bronx and Uptown." New Jersey Citizen Kerri `Kaoz´ Chandler, sonst als Deep House-Koryphäe unterwegs, nimmt den Hörer auf seinem sehr persönlich ausgefallenen DJ Kicks-Beitrag mit auf einen musikalischen Trip durch New York, der seine Einflüsse auf unterhaltsame Weise offenlegt. Dem als Sohn ein Disco-DJs aufgewachsenen Chandler wurde Tanzmusik quasi in die Wiege gelegt, bald gründete er sein eigenes Label Madhouse. Später kamen Veröffentlichungen bei Strictly Rhythm, Atlantic, King Street Sounds, Large oder Nervous hinzu. Neben House gibt es hier auch Soul, Funk, Disco, Jazz, Reggae und Hip-Hop in der kickenden Liste zu entdecken, hier und da ergänzt durch kleine Keyboard-Tupfer und Voiceovers Marke Chandler. `No ones kicks hit quite like Kerri´s´. Webpräsenz

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Pantha Du Prince - Coming Home

Stereo Deluxe / Warner

Coming Home mit Pantha du Prince. Hendrik Weber hat als neuer Host der Serie auf Stereo Deluxe, zu der schon Kollegen wie Mo Horizons oder Sven Väth Beiträge lieferten, auf gleich zwei CDs seine Lifesaver-Tracks für die Abgrenzung zum hektischen Round the Globe-DJ-Travel-Schedule zusammengestellt. Entsprechend der mannigfaltigen Einflüsse auf Pantha du Prince-Veröffentlichungen finden sich im (vom Text-Platz her eigenartig aufgeteilten) Doppel-Digipak kaum reine Electronica-Tracks, sondern vielmehr eine breite Palette ganz anderer Klänge, inklusive manchmal überraschender Effekte im direkten Aufeinandertreffen: Moderne Klassik, Experimentelles, Soul-Crossover, Psychedelia, Post Punk oder Krautrock, sowie als Zugabe gewissermaßen ein neuer Track von Webers erstem Projekt Glühen 4. Für alphabetisch tickende Interessenten: von Autechre Gavin Bryars und Cluster über Fennesz und Marvin Gaye, La Düsseldorf und This Heat zu Simon Fisher Turner oder dem Wu-Tang Clan. Pick yours, with open ears. www.panthaduprince.com

 
 

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Lindstrøm - It´s Alright Between Us As It Is

Feedelity - Smalltown Supersound / Rough Trade

Nordic Disco Don Hans-Peter Lindstrøm aus Stavanger, kooperierte schon mal mit dem alten Rock-Utopisten Todd Rundgren, erreichte in den letzten Jahren aber selten das Niveau seines Wurfs von 2010, Real Life Is No Cool. Damals war noch Sängerin Christabelle Silje Isabelle Birgitta Sandoo mit an Bord, um die es hernach ruhig wurde. Der 2017er Albumtitel kann sich also kaum auf die verflossene Osloer Kollegin beziehen, oder? It´s Allright Between Us As It Is ist erklärtermaßen ein Zitat aus Ingmar Bergman's Arthouse-Klassiker Smultronstället (Wilde Erdbeeren) von 1957. Doch auch mit den diesmal ans Mikro gebetenen Künstlerinnen, der Schwedin Frida Sundemo, der poetisch-umtriebigen Jenny Hval & einer ominösen Grace Hall, die beim jeweiligen Track auch als Co-Autorinnen agieren, eifert Lindstrøm den alten Feedelity-Sound-Idealen nach - mit den Koordinaten Cosmic-Disco, Balearic Beats & Electro-Pop. Zwischendurch wabert und Driftet es auch mal gefährlich Richtung Vangelis. Play Tracks 3,4,6,8,9. Webpräsenz

 
 

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Cover Art: Kim Hiorthoy

John Morales - The M+M Mixes Vol. IV 

Bbe / Hoanzl

Zwei Doppel-Vinyl-Alben oder eine Vierer-CD-Box mit 4x8=32 Maxi-Tracks - eine Menge Holz bringt DJ-Veteran John Morales aus der Bronx mit für die vierte Sammlung seiner M+M Mixes. Im Programm diverse bislang unveröffentlichte Mixe von Dance-Klassikern aus drei Jahrzehnten, die durch Interpreten wie Donna Summer, Barry White, Diana Ross, Cher, Teena Marie, Eddie Kendricks oder Teddy Pendergrass berühmt wurden. In seiner aktiven Zeit an den Decks hat Morales erklärtermaßen über 800 Remixe produziert. Einem der besten Disco-Produzenten und -Arrangeure mit dieser Sorte geballter Erfahrung machen Labels gern die Original-Mehrspuraufnahmen aus den Archiven zugänglich. Four on the floor. Play Tracks I-3,5,6. II-4 bis 6. III-6. IV-1 bis 3. www.johnmoralesmix.com

 

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Vermont - II

Kompakt / Rough Trade

Es dauerte etwas länger bis Vermonts Zweitling aus dem frühen Frühjahr auch in dieser Redaktion anlandete. Drei Jahre nach dem beachtlichen Erstling liefern Danilo Plessow & Markus Worgull stilistisch ganz ähnliches, leicht melancholisches Klangmal-Programm. Das Duo feiert sein analoges Klanginstrumentarium von Roland bis Moog. Die dichten, retro-krautigen Tonbilder kommen ganz ohne Percussion aus, aber immer genau dann mit etwas leicht Sperrigem um die Ecke, wenn es gar zu sanft zu werden droht. Neben Brian Eno haben auch Referenzgrößen von Düsseldorf bis Berlin (Cluster & Harmonia, Roedelius, in abgespeckter Form auch Klaus Schulze) hier hörbar ihre Spuren hinterlassen. Erwähnt sei auch das sorgfältige Package Design mit dem eingeprägten Bandnamen auf dem maurisch-andalusisch anmutenden Coverbild (Fernando Alda/Unland). www.kompakt.fm/artists/vermont

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Tove Lo - Blue Lips (Lady Wood Phase II)

Virgin / Universal

Für das Erzielen von Millionen Klicks schadet es nicht, dass blonde singende Schwedinnen noch immer bevorzugt männliche Fantasien beflügelt haben. Die länger im Indiepop-Bereich herumwerkelnde Stockholmerin Ebba Tove Elsa Nilsson, mitllerweile besser bekannt als platindekoriertes Youtube-Phänomen Tove Lo, treibt nach dem Mainstream-Durchbruch mit Habits (Stay High) die Vermarktung ihres Acts per expliziten Texten & Videos auf neue Höhen. Der darauffolgende Longplayer Lady Wood zitierte noch folgerichtig das Cover von Like A Prayer, hatte Madonna damit doch in Sachen Showbiz-Tabubrüche Vorarbeit geleistet und in Richtung Kamera gespreizte Beine hoffähig gemacht. Die nächste Stufe zündet Tove Lo im Abspann ihres aufwendig inszenierten 30 Minuten-Films Fairy Dust (Regie: Tim Erem), dem weitere Nachfolgevideos zum dritten Album Blue Lips entstammen. Nur der im Vergleich zum sonstigen Output auch musikalisch bemerkenswert runden (Video-)Single Disco Tits wurde eine separate, Toves Sex-Image teils gar persiflierende Story verordnet. All dies findet nicht mehr auf CD statt, es scheint, dass der physische Tonträger zumindest für die Zielgruppe von Tove Lo ausgedient hat. https://www.facebook.com/tovelo * www.tove-lo.com


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