REVIEWS JAZZ 06-2016
Anthony Joseph - Caribbean Roots
Heavenly Sweetness / Indigo
TIPP!
Großartiges Diaspora-Gesamtkunstwerk. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der britische Musiker-Poet (& Uni-Dozent), noch von seinem 2014´er Album mit Meshell Ndegeocello in guter Erinnerung, seine starken Caribbean Roots umfassend thematisieren würde. Der 1966 in Port Of Spain geborene und 1989 von Trinidad nach Großbritannien emigrierte Joseph bettet seine eindringlichen Spoken Word-Kaskaden in eine Unterlage aus Jazz-, Funk-, Psychedelic Rock- und Afrobeat-Anleihen, souverän angerichtet von einer Band karibisch(stämmig)er Profis: die aus Shabaka Hutchings, Jason Yarde, Pierre Chabrèle & Yvon Gillard bestehende Bläser-Sektion, Bassist Mike Clinton & Drummer Eddie Wakili Hick, sowie Steelpan-Virtuose Andy Narrell. Von Havana geht es über Kingston, Port-au-Prince & Bridgetown nach Port of Spain & retour - Joseph als Tour Guide. Doch außer der Route hat dieser intensive Trip mit einer Kreuzfahrt übersättigter Instant-Touristen nichts gemein. "Our history is the struggle against enslavement and colonialism" - dieser Satz des Schriftstellers Earl Lovelace aus Trinidad & Tobago steht nicht von ungefähr am Ende des Konzeptalbum-Booklets, von Lovelace-Sohn Che stammt das Cover Artwork. Play all tracks - and listen. |
Beady Belle - On My Own / Rosa Brunello - Upright Tales
Jazzland / Edel * Cam Jazz / Harmonia Mundi
TIPP & LIVE-TIPP
On My Own - nicht ganz, denn die norwegische Sängerin Beate S. Lech aka Beady Belle, bisher unter diesem Moniker mit Markus Reksjø & Erik Holm unterwegs, begibt sich mit ihrem neuen Album ganz unter die Fittiche ihres mittlerweile wichtigsten Kompagnons, Jazzland-Gründer Bugge Wesseltoft. Der produziert und ist an den Tasten & Percussioninstrumenten auch als Musiker mit von der Partie. In Oslo & New York aufgenommen, u.a. mit guest appearances von Saxophonist Joshua Redman & Sängerin Torun Eriksen, bietet das Werk einige starke Lech-Kompositionen, wie stets leidenschaftlich gesungen, diesmal: nicht besser begleitet als bisher, aber instrumental breiter gefächert. Play Tracks 1,3,4,9. Zwei Jahre nach ihrem Debüt Camarones a La Plancha, präsentiert die italienische Kontrabassistin & Bandleaderin Rosa Brunello ihr neues Album Upright Tales. Fünf der 11 Tracks hat sie selbst geschrieben, vier bzw. zwei steuern ihre Fermentos-Mitstreiter, Trompeter David Boato & Posaunist Filippo Vignato, bei. Die Bandbreite des von Drummer Luca Colussi komplettierten Quartetts (ohne Piano - bei 3 Tracks ist allerdings Klavier-Virtuose Enzo Carniel zu Gast) reicht dabei von meditativen Passagen bis zu improvisatorischen Ausflügen insbesondere der Bläser-Fraktion. Zweimal sorgt zudem Francesca Viaros - rein lautmalerisch eingesetzte - Stimme für Abwechslung. |
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Brad Mehldau Trio - Blues And Ballads
Nonesuch / Warner
TIPP
Brad Mehldaus Bilanz seiner Solo-Auftritte der letzten 10 Jahre liegt nicht lang zurück, die letzte Studio-Aufnahme seines Trios mit Bassist Larry Grenadier und Drummer Jeff Ballard aber immerhin schon vier Jahre. Blues and Ballads ist der programmatische Titel des neuen Albums der drei und wieder gibt es Beispiele für deren Meisterschaft & Timing, wenn es an die Interpretation von Kompositionen anderer Künstler geht. Ob es sich dabei um American Songbook-Klassiker von Cole Porter, lebendige Jazz-Historie von Charlie Parker, Pop-Olymp-Material von Lennon & oder eine Ballade des Magnolia-Komponisten & Produzenten (u.a. Aimee Mann) Jon Brion handelt - alles fliesst auf höchstem Niveau ineinander. Am 9.7. ist Brad Mehldau (mit John Scofield & Mark Guiliana) live im Kulturzelt Kassel zu erleben - und am 30.7. auch auf Schloss Elmau. |
Paolo Fresu & Omar Sosa - Eros / Alessandro Lanzoni - Diversions
Tuk Music / Edel * Cam Jazz / Harmonia Mundi
TIPP
Zweimal Jazz aus Italien. 1 Nach Alma von 2012, mittlerweile eine gesuchte Import-Rarität, schon das zweite gemeinsame Album für Paolo Fresu, den italienischen Trompeter & Flügelhornspieler mit dem kubanischen Pianisten Omar Sosa. Deren Basisspuren gingen vom Studio im norditalienischen Cavalicco ins französische Herret, wo Natacha Atlas ihren arabischen Gesang über zwei der Stücke legte (arabischer Text & englische Übersetzun im Booklet). Jaques Morelenbaums Cellopassagen kamen schließlich in Rio de Janeiro hinzu - World Jazz zum Thema Eros. Zwei bemerkenswerte Coverversionen: Der Opener Teardrop, im Original ein Hit für Massive Attack & Elizabeth Fraser sowie das Instrumental What Lies Ahead, von Peter Gabriel mit Filius Isaac komponiert & eigentlich für Vater Peters nächstes Album vorgesehen - ein echter Coup. Stimmiges und gut durchhörbares Gesamt-Ergebnis, zumal das Ganze in einem wertigen Spezial-Digipak steckt. 2 |
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Incognito - In Search of Better Days
Earmusic / Edel
LIVE-TIPP
37 Jahre haben die britischen Acid-Jazz-Veteranen Incognito mittlerweile auf dem Buckel - auch wenn das eigentlich strenggenommen nur bei Bandleader Jean-Paul 'Bluey' Maunick so zu konstatieren ist. Kontinuierlich am Rest des Ensembles war eigentlich nur der stete Wechsel. Immerhin auf mehr als einer Handvoll Alben als Stimme von Incognito zu identifizieren: US-Sängerin Maysa Leak, die auch hier viermal den Job am Mikro erledigt (dreimal die ebenfalls Übliche Verdächtige Vanessa Haynes). Wie beim Vorgängeralbum Amplified Soul sind auch auf dem 17. Studiowerk weitere Gäste zugange, etwa Opener-Sängerin Imaani, Bassist Stuart Zender, Pianist Avery Sunshine oder der japanische Gitarrist Tomoyasu Hotei. Musikalisch alles wie gehabt - auf hohem Niveau glattgepflegte Jazz-Funk Fusion, immerhin diesmal (vor dem Hintergrund der Krieg & Flüchtlingskrise) mit einer Mahnung von Maunick an seine Mitmenschen im Booklet - der Mann hat das Album wohl nicht umsonst In Search of Better Days betitelt. |
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Jasmin Tabatabai - Was sagt man zu den Menschen, wenn man traurig ist?
Jadavi Records / Galileo MC
"Man sagt nichts, damit man lächeln kann." Man muss kein Fan des schauspielerischen & musikalischen Oeuvres von Jasmin Tabatabai sein, um ihre mit dem vorliegenden Album gelungene Richtungsänderung anzuerkennen. Die halbgare Rock&Pop-Vergangenheit wie das orchestrale Zuviel des Albumvorgängers hinter sich lassend, präsentiert sich Tababtabai auf Anraten ihres Produzenten, des Schweizer Musikers & Komponisten David Klein, mit einer stimmigen Quintett-Besetzung im Rücken als begabte Entertainerin und liefert in melancholischen Passagen wie dem Kreisler-Titelsong anrührende Momente. Noch immer will sie auch die Vielsprachigkeit, will durch Genres streifen, will Kurt Weill, Tucholsky und Cole Porter und eigene Stücke und persische Folklore; kann Vieles davon - und wird im Feuilleton einfach aufgrund der monströsen Lücke, die die Knef hinterlassen hat, schon mit dieser verglichen. Mal sachte, dann kann sich hier noch mehr entwickeln. |
Idris Ackamoor & the Pyramids - We Be All Africans
Strut / Indigo
TIPP
We Be All Africans - mit diesem Slogan Afrika als Wiege der Menschheit ins Licht zu setzen hat Gewicht in Zeiten, in denen wieder Abschottung, Ausgrenzung und Kleinstaaterei Konjunktur haben. Das afroamerikanische Jazz-Kollektiv, in den frühen 70ern bereits vom als Bruce Stephen Baker geborenen Multiinstrumentalisten, Komponisten, Schauspieler & Stepptänzer Idris Ackamoor gegründet (und zunächst bis 1977 aktiv), verbindet den mal enorm groovenden, mal frei improvisierenden Klang seines zweiten Albums nach der Reinkarnation von 2010 mit einer politischen Botschaft. The Pyramids warten in der spirituellen Nachfolge des Sun Ra Arkestra mit Afrobeat, eingängigen Chants, Saxophon- und Flöten-Improvisationen, Breaks, Spiritual-Jazz und Funk auf: Otherworldly (so der Titel des Vorgängeralbums). Eingespielt in Max Weissenfeldts analogem Berliner Philophon Studio. |
miles davis & robert glasper - everything´s beautiful
Various Artists - Columbia - Blue Note Legacy / Sony
Quasi die zweite Hälfte des Doppelpacks zu Miles Davis´ 90. Geburtstag, nach dem Soundtrack zu Miles Ahead, dem Regie-Debüt von (Miles-)Hauptdarsteller Don Cheadle. Schon dort wirkte der Grammy-dekorierte Jazz/Hip Hop-Producer mit fünf neuen Titeln mit. Everything´s Beautiful nun präsentiert weitere von Glasper produzierte Titel - allesamt Interpretationen von Davis´ Repertoire, teils als neue Co-Kompostionen. Und zwar unter Mitwirkung einer illustren Gästeschar: u.a. mischen Erykah Badu, Hiatus Kaiyote, Bilal, Laura Mvula, Georgia Anne Muldrow, John Scofield & Ledisi und abschließend gar Stevie Wonder mit (an der Mundharmonika). Quite a tribute... Das Projekt im www.milesdavisstore.com |
delta saxophone quartet with Gwilym Simcock - Crimson
Basho Ltd. / H´Art
Der geradezu abenteuerlustige britische Delta Saxophone Quartet, u.a. schon mit ihrer Soft Machine-Expedition in Prog-Rock-Gefilde aufgefallen, wagt sich mit dem vorliegenden Album an das Oeuvre der Kult-Formation King Crimson. Mit im Boot Pianist & Komponist Gwilym Simcock, von Sax-Quart-Leader Chris Caldwell ursprünglich bei einem Stoke-City-Fussballspiel aufgetan & befreundet. Sie ahnen schon, puritanisch geht es hier eher weniger zu - im Gegenteil. Die klassisch geschulten Bläser hauen sich lustvoll in die vertrackten Fripp & Co-Kompositionen und der rhythmisch versierte Simcock war eh schon durch seine frühere Zusammenarbeit mit Crimson-Schlagzeuger Bill Bruford vorbelastet. |
Omer avital - abutbul music
Jazz Villa / Harmonia Mundi
Im letzten November gastierte Omer Avital auch in der Münchner Unterfahrt. Der in Israel als Sohn eines marokkanischen Vaters & einer jemenitischen Mutter geborene, mittlerweile in den USA lebende Kontrabassist, Komponist & Bandleader ist seit etwa 20 Jahren ein Teil der vitalen New Yorker Jazz-Szene. Avitals wechselnde Ensembles bewegen sich durch diverse Strömungen - auf dem aktuellen, in Paris mit lauter Musikern israelischen Backgrounds aufgenommenen Album, klingen sachte auch orientalische Melodien an, Referenz an Avitals Herkunft (und mit Abutbul an den ursprünglichen Namen seiner Familie). Swing, Gospel & Soul finden sich ebenfalls als Bausteine im vitalen Sound dieses Quintetts. |