REVIEWS JAZZ 09-2016

 


 

1 ost JAZZ slide

Jacob Collier - In My Room

Membran / Sony

Ich bin Viele. Seit seinem 17. Lebensjahr lädt Jacob Collier aus London selbstproduzierte Split-Screen-Videos auf Youtube hoch, in denen er mit sich selbst im Kanon singt und diverse Instrumente spielt, etwa bei Bacharachs Close To You oder Fascinating Rhythm. Nach Millionen Youtube-Clicks war er mittlerweile mit der WDR Big Band im Studio, ist bei Quincy Jones´ Management unter Vertrag und trat gerade erst im Juli beim Montreux Jazz Festival auf. Da war es auch Zeit fürs erste Solo-Album, das nun folgerichtig In My Room heisst, denn alle Titel spielt der mittlerweile 21-Jährige ganz allein im Sechs-Quadratmeter-Musikzimmer im Haus seiner Eltern ein. Es finden sich immer noch Coverversionen, wie das originelle Hanna-Barbera-TV-Thema The Flintstones oder You And I seines Vorbilds Stevie Wonder, doch die meisten Titel sind nun Eigenkompositionen. Ein `musicians musician´, das Lob von Herbie Hancock, Pat Metheny, Jamie Cullum oder James Taylor spricht für sich. Zweifelsohne ist all das eine beeindruckende Demonstration außergewöhnlichen musikalischen & technischen Talents, nur manchmal hätte es auch eine Gesangsspur & die eine oder andere Phrasierung weniger getan. Get a producer, whiz kid.

 

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www.jacobcollier.co.uk

www.youtube.com/user/jacobcolliermusic

Im September & November vereinzelt live in Deutschland (etwa Esslingen Jazz Festival am 10.09.) & der Schweiz.

Seemed Like a good idea - Petra Haden sings Jesse Harris

Sunnyside / Delta

An Petra Hadens Filmmusik-Album von 2013 Petra Goes To The Movies erinnert sich der Rezensent gern. Sproß einer aussergewöhnlich musikalisch(erfolgreich)en Famile (Vater Charlie war ein sehr bedeutender Jazzbassist, mit den Schwestern Tanya & Rachel spielt sie bei den Haden Triplets, Bruder Josh ist Bandleader der Gruppe Spain), und mit Erfahrung in der Zusammenarbeit mit so unterschiedlichen Kollegen wie den Foo Fighters, Beck, Bill Frisell oder Paul Motian, schien es Sängerin & Violinistin Petra diesmal eine gute Idee, sich mit Songwriter Jesse Harris zusammenzutun. Der hat bereits mit Norah Jones, Willie Nelson, Emmylou Harris, Melody Gardot oder John Zorn gearbeitet - und auch hier funktioniert´s - im Ergebnis ein feines, schon leicht herbstliches Balladenalbum. Interessanterweise ist auch Jon Brion dabei, u.a. Magnolia-Filmkomponist und hier seiner Eigenschaft als Multi-Instrumentalist gefragt. "I'll be performing new music and working with Voicelab for David Byrne's Meltdown Festival, August 21, 22nd, 2016."
Check out: www.petrahaden.com

TIPP
 

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the bad plus - it´s hard

Okeh / Sony

Nach ihrer Erkundung von StravinskisSacre du Printemps und Inevitable Western  , einem Album nur mit Eigenkompositionen besinnt sich das US-amerikanische Ausnahmetrio The Bad Plus mit dem 11. Studioalbum It's Hard auf seine eigentliche Stärke: eigenwillige Interpretationen bekannten Poprepertoires. Bassist Reid Anderson, Pianist Ethan Iverson und Schlagzeuger David King dekonstruieren diesmal u.a. Time After Time von Cindy Lauper oder Peter Gabriels Games Without Frontiers. Bzgl. Kraftwerk hätte man sich allerdings eine originellere Auswahl als The Robots gewünscht. Drummer King hatte auch noch Kapazitäten für die Covergestaltung & die Fotos im Booklet frei. www.thebadplus.com Live derzeit fast nur in den USA zu sehen, wo die Vier Mite August etwa an gleich sechs Abenden im New Yorker Blue Note gastieren.

 

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Peter Eldridge - DIsAPPEARING DAY / Joanna Wallfisch - gardens in my mind

 beide: Sunnyside / Delta

Der Pädagoge im Vokal Jazz, Grammy-Gewinner Peter Eldridge (New York Voices, Moss) enttäuscht auch mit dem fünften Studio-Album Disappearing Day keineswegs. Dem exquisiten Opener folgen fein arrangierte, weit ins Singer/Songwriter-Terrain hineinreichende Songs, zuweilen mit Latin-Anleihen. Sieben mit Eldridge als (Co-)Autor, fünf von einigen seiner Lieblings-Künstler: Paul McCartney, Luciana Souza, The Magnetic Fields, Leonard Bernstein plus das einst auch von Frank Sinatra intonierte Witchcraft (Coleman/Leigh). Das Cover stammt übrigens vom Sänger & Musikperformancekünstler Theo Bleckmann. Kleiner Punktabzug für die schwer leserliche Großbuchstaben-only-Typo im Digipak. "A tour de force in vocal jazz..." Play Tracks 1-6. http://petereldridge.com  Live derzeit nur in New York, new York...

2 Und noch etwas ähnlich getaktetes vom Sunnside Label: ein weiteres Duo-Projekt von Joanna Wallfisch (Gesang, Klavier, Ukulele) mit dem Pianisten & Melodika-Spieler Dan Tepfer. Fein dosierte Streicher-Arrangements beider, ausgeführt vom Sacconi Quartet, gibt es ebenfalls zu hören. Alle Stücke stammen aus Wallfischs Feder, bis auf je ein Stück von Joni Mitchell (All I Want) und Tim Buckleys Song To The Siren.. Klassik- & Jazzanleihen gibt es zuhauf in Joanna W´s gepflegtem Seelengarten. Digitales Video-Bonus-Programm auf der CD, das sich im Computer aufrufen lässt. Auch hier: schönes (Bodypainting-)Grafik-Design (Alyssa D´Anna), schlechte Typo.
F.book-Präsenz
Live-Termine: Im August in den USA unterwegs.

 TIPP
 

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Hattler - Warhol Holidays

36music / Broken Silence

"Ich bin kein Jazzer. Ich lasse das, was ich am Jazz liebe, in meine Musik mit einfließen – oder ich lasse Jazzer ihre Scales auf meine eher pentatonisch gehaltenen Abläufe spielen, das ergibt dann eine charmante Mischung." (Hattler Ende 2014 einem High End-Online Magazin gegenüber). So ganz erschliesst sich nicht, warum sich Hattler gegenwärtig gerade Pop Art - Warhol Holidays gönnt, doch abseits fehlender Programmatik weiß das neue Album des Gründungsmitglieds von Kraan durchaus zu unterhalten. Groovig-souliger Beginn, später folgen Michael Rother-Gedächtnis-Instrumentals, Kraut-Reminiszenzen, Pop-Versuche (weniger zwingend), E-Sitar und gar Weather Report-naher Jazzrock - das meiste davon angetrieben durch Hattlers feinen Wühlbass. www.hellmut-hattler.de Wie bei Hattler üblich, folgt dem neuen Album eine größere Deutschland-Tour: ab 29.9. bis 3.11. (Ingolstadt Jazz Festival).

 LIVE

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Daniel Freedman - Imagine That

Anzic / Delta

Atmosphärisches Brooklyn-Jazzalbum mit starkem Afrobeat-Einschlag. Mit Daniel Freedman versammelt hier einer der gefragtesten New Yorker Schlagzeuger ein paar Kollegen - und für zwei Songs Angélique Kidjo - für sein drittes Album als Ensemble-Leader. Ein Radiohead-Stück ist dabei, vier Stücke steuert Freedman selbst bei, zwei Pianist Jason Lindner, eines kommt vom Gitarristen Lionel Loueke aus Benin. Weiter mit von der Schmelztiegel-Partie: Bassist Omer Avital (Israel) & Schlagzeuger Gilmar Gomes (Brasilien) Die Kidjo, mit der Freedman schon auf Tour war, singt Baby Aya, ein Tanz-Wiegenlied, dass Freedman für seine kleine Tochter schrieb. www.danielfreedman.net Anfang September beim Chicago Jazz Festival, deutsche Termine leider vorerst nicht in Sicht.

 TIPP

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a bu - butterflies fly in pairs

 Sennheiser Media / Harmonia Mundi

Wenn es um den chinesischen Jazz-Pianisten Dai Lang aka A Bu geht, kommt man um den Begriff Wunderkind kaum herum. Mit 4 das künftige Instrument ausgewählt (das größte im Laden). Mit 9 Studium am Musikkonservatorium in Peking, mit 13 mit Chick Corea auf der Bühne, mit 15 Parmigiani Jazz Solo Piano Doppelsieger in Montreux. A Bu ist 17 und studiert Jazz Piano an der Juillard School in New York, wo auch sein vorliegendes zweites Album aufgenommen wurde - mit Bassist Tom Kennedy, Drummer Ryan J. Lee und den Chop Horns, Saxophonist Antonio Hart sowie Sängerin Cecilia Stalin als Gästen: Elf Fusion- Eigenkompositionen mit Anflügen aus Pop, Latin & Klassik. Der CD liegt eine Bonus-DVD zu den Aufnahmen in New York bei. 

 
 

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www.abujazz.com

till brönner - the good life

Okeh - Masterworks / Sony

"Man stellt fest, dass eigentlich alle guten Songs der 50er & 60er Jahre irgendwann von Sinatra gesungen wurden." Till Brönners holländischer Produzent Ruud Jacobs fand offene Ohren für seine Idee eines Great American Songbook-Albums, der Trompeter geht einmal mehr auf Nummer Sicher. Auf The Good Life spielt (und singt) Brönner also Titel wie Sweet Lorraine, I´ll be Seing You oder Come Dance With Me mit folgender Band im Rücken: John Clayton (b), Jeff Hamillton (dr), Larry Goldings (p) & Anthony Willson (g) in Los Angeles. Brönner war auch Co-Autor bei zwei Stücken, von denen sich besonders der Gesangstitel Her Smile ohne Abstriche einfügt. Auch als Doppelvinyl - wer von Obama zum Jazzen ins Weiße Haus gebeten wird, dem erfüllt die Plattenfirma schonmal Wünsche wie eine streng limitierte Deluxe Edition im Leinenbuch inkl. 2xVinyl-LP, CD, Mp3-Downloadcode & hochwertigen Fotobuch (Till Brönner by Andreas Bitesnich) plus Sonder-Fotodruck. Zwei einzelnen Konzerten am 26.8. beim Mainzer Rheingau Musik Festival & am 15.9. in Herford folgt im November eine größere Tour durch deutsche Musiksäle.

 LIVE 
 

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http://tillbroenner.de

Martin Dahanukar - traumesrauschen

Skip Records / Soulfood

Martin Dahanukar, Trompeter mit indisch-schweizerischen Wurzeln, spielt auf seinem neuen, nun auch physisch veröffentlichten Album Traumesrauschen lyrisch-cinematischen Jazz für die dämmrigen Stunden. Gelegentlich eifert er dabei mit seiner aus Michael Haudenschild (p), Philipp Moll (db) & Willy Kotoun (perc) bestehenden Band dem großen Idol Miles Davis und dessen stilprägender Filmmusik zu Fahrstuhl zum Schafott nach. Mit anderen "Polaroids von heissgeliebten Kinojuwelen" versucht er buntere Assoziationen zu wecken, wie etwa mit dem Opener Hablar Con Almodóvar oder dem abschließenden Salaam Bombay. www.martindahanukar.com/ Im November erst stehen wieder einige Konzerte mit dem neuen Quartet für Deutschland & die Schweiz im Tourplan.

 

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the savage Five - sleepwalking

Herbie Mann Music / Edel Kultur

Eigentlich kaum zu Recht beim Jazz eingruppiert, denn die irische Sopranistin & Jazzvokalistin Suzanne Savage sucht sich hier gemeinsam mit vier von den Niederlanden aus operierenden Streichern ein neues Betätigungsfeld im Spannungsfeld zwischen Singer/Songriter, Kunstlied und Kammermusik. Savage, u.a. länger als Solistin bei der irischen Folklore-Show Riverdance, reklamiert mit ihrem neuseeländischen Co-Autoren & Cellisten Hugo Smit Einflüsse von Cole Porter über Björk bis Béla Bartók. Das klingt allerdings, etwa bei This Is Love, auch schonmal wie Kate Bush für Arme, wenn zuviele Breaks & Tempiwechsel la Savage überfordern. http://thesavagefive.com/home-de  20. August 2016, Auster Club Berlin CD Release Concert

 LIVE

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