REVIEWS JAZZ 02/03-2018

• 1. Norma Winstone - Descansado - Songs for Films
• 2. Till Brönner & Dieter Ilg - Nightfall
• 3. Dr. Lonnie Smith - All In My Mind
• 4. Melody Gardot - Live In Europe
• 5. Go Go Penguin - A Humdrum Star 
• 6. We Out Here - The New Sound of London Jazz
• 7. Hyleen - B-Side
• 8. Martin Kälberer - Baltasound / Joachim Staudt
• 9. Silent Explosion Orchestra by Kevin Naßhan - Prologue
• 10. Florian Favre Trio / Escape Argot

Eine musikalische Reise in die Welt des Kinos unternimmt die unlängst an dieser Stelle gewürdigte britische Jazz-Sängerin & Lyrikerin Norma Winstone mit ihren Begleitern Klaus Gesing (Sopransaxophon & Bass-Klarinette) und Glauco Venier (Piano). Die Beiden arrangierten Scoremusiken von namhaften Filmkomponisten wie Nino Rota, Michel Legrand, Bernard Herrmann, Armando Trovaioli, Luis Bacalov, Dario Marianelli oder Ennio Morricone neu. Für die Winstone dann, gar nicht scheu, teils neue Texte schrieb - sechs an der Zahl und dabei nicht unbedingt im inhaltlichen Original-Kontext der Werke für Regisseure wie Martin Scorcese (Taxi Driver), Jean-Luc Godard (Vivre Sa Vie), Federico Fellini (Amarcord), Franco Zeffirelli (Romeo & Juliet) oder Wim Wenders (Lisbon Story) blieb. Der Albumtitel stammt aus einem nicht ganz so bekannten Streifen Vittorio de Sicas (Ieri,Oggi Domani). Descansado – Music for Films wurde im März 2017 im ArteSuono Studio in Udine, Italien aufgenommen - und selbstredend von Manfred Eicher produziert. Eine kunstvolle Reflektion über das kreative Zusammenspiel von Komponist & Regisseur, von Klang- & Filmkunst, von Note & Projektion. Bis auf weiteres nur ein einziges Konzert in Deutschland: Am 18.02.2018, im Stadttheater Landsberg.

TIPP & LIVE

www.normawinstone.com * www.ecmrecords.com

Der auch als Fotograf aktive Gelegenheitsraucher Brönner inszeniert Model & Schauspielerin Lisa Tomaschewsky für das Nightfall-Cover.

"Stilistisch offenes Visier."(Ilg): "Die Titel, die wir ausgewählt haben, sind die Essenz dessen, was an Möglichkeiten vorhanden war. Am Ende sind wir bei dem, was uns die größtmögliche Kommunikation eröffnet hat, geblieben."(Brönner). Nämlich: drei gemeinsame Eigenkompositionen sowie von Leonard Cohen, den Beatles, Ornette Coleman, Bach - und Britney Spears - bekannte Stücke. Video von den Aufnahmen auf Schloss Elmau

Ab 25.02. deutschlandweit auf Nightfall-Tournee.

https://tillbroenner.de/nightfall * http://dieterilg.de

LIVE

"Dieses Album ist eine Zumutung" meint Till Brönner. "Es mutet uns zu, uns völlig ungefiltert aufeinander einzulassen, andererseits dem Publikum, teilzuhaben an einem Prozess, von dem man noch nicht weiß, wie er ausgehen wird." Der Star-Trompeter & Bass-Routinier Dieter Ilg spielten seit 2011 bei verschiedenen Gelegenheiten immer wieder zusammen, ehe im Oktober 2017 auf Schloss Elmau das erste gemeinsame Album Nightfall aufgenommen wurde. Die Risiken der gemeinsamen Improvisation fielen überschaubar aus - wie Ilg meint, wisse man mittlerweile schon, "wo man sich auffangen kann." Die beiden deutschen Jazz-Promis, "die auf ihren sehr gegensätzlichen Instrumenten oft das Gleiche wollen" (Brönner z.B. ging es, nach Mainstream- & Gesangs-Ausflügen, erklärtermaßen um "die Reduktion auf das Wesentliche"), ergänzen sich hörbar gut. Dass Dieter Ilg, dreifacher Echo Jazz-Preisträger, Mangelsdorff- & Dauner-Mitstreiter, nicht nur Begleiter von Brönners Melodieführung & Soli, sondern Duopartner auf Augenhöhe ist, überrascht Jazzkenner weniger. Zwar steht Ilg seltener im Rampenlicht als sein geschmeidig-telegener Partner, spielte aber als auch international anerkannter Sideman schon mit Größen wie Randy Brecker, Charlie Mariano oder Nguyen Le.

George Benson Quartet-Mitgründer und Hammond-Akademiker Dr. Lonnie Smith, mittlerweile 75 Jahre, mit seinem neuen Live-Album All In My Mind, dem zweiten nach der Rückkehr zu Blue Note 2016. Aufgenommen vom experimentierfreudigen Turbanträger in New York - mit seinen angestammten Triopartnern Jonathan Kreisberg (git) und Johnathan Blake (dr). Für den einzigen Gesangstrack, das titelgebende All In My Mind, eine von zwei Eigenkompositionen, kommt noch Alicia Olatuja hinzu, während `Doktor´ Smith auch bei Material von Wayne Shorter, Freddie Hubbard oder einer Pop-Vorlage, Paul Simons 50 Ways To Leave Your Lover, mit dem Elan eines Jahrzehnte Jüngeren so unorthodox wie virtuos über die Orgeltasten fegt. Da hatte Star-Produzent Don Was recht wenig nachzujustieren.

Deutlich jazziger als bisher auf Konserve: Melody Gardot - alive & kicking.

www.melodygardot.co.uk In unseren Breiten live erst wieder Anfang Juli: Zwei Konzerte - in Wien und Hamburg. - www.melodygardot.co.uk

LIVE

"Verwundbar und nackt." So fühle sie sich auf der Bühne, meint die US-amerikanische Sängerin, Songschreiberin & Gitarristin Melody Gardot. Und inszeniert diesen Widerspruch im Drängen extrovertierter Künstler auf die Bühnenbretter gleich publicityträchtig auf dem Cover für Live In Europe. Die lange durch die Folgen eines schweren Verkehrsunfalls gehandicapte Gardot wählte selbst die intensivsten Momente aus mehr als 300 Konzerten in London, Paris, Wien, Amsterdam, Barcelona, Lissabon, Zürich, Frankfurt, Bergen und Utrecht aus, die zwischen 2012 und 2016 als Mitschnitt zur Verfügung standen. Daneben blieb Melody G. offenbar dennoch Zeit für eigene, philosophisch angehauchte Liner Notes über das Altern. Für Fans des von Pop & Folk unterfütterten, expressiven Jazz-Vortrags der Gardot ist das Doppel-CD-Digipak mit seinen knapp zwei Stunden Musik natürlich ein Laubhüttenfest.

GoGo Penguin aus Manchester, an dieser Stelle bereits zu Gast, sind einer der Acts, die die momentane Bandbreite beim altehrwürdigen Blue Note-Label merkbar ausweiten. Offensichtlich werden Hörer aus verschiedensten musikalischen Lagern von den zwischen Jazz, Modern Classic & Electro changierenden Instrumentals des spielfreudigen Trios abgeholt. Mit Sequenzern komponiert und dann auf herkömmlichen Instrumenten eingespielt, so entstehen die gemeinschaftlich entwickelten `Rave Jazz´-Stücke von Pianist Chris Illingworth, Bassist Nick Blacka und Schlagzeuger Rob Turner. Dabei gehen die Ex-Musikhochschüler auch auf dem mittlerweile vierten Album A Humdrum Star noch mit soviel Verve zur Sache, dass trotz dieses Titels von musikalischer Eintönigkeit kaum die Rede sein kann. Vom 12.-18.04. sind Gogo Penguin auf Deutschland-Tour (Abschluss in der Münchner Muffathalle). http://gogopenguin.co.uk

LIVE

Ein echter Hingucker: das Album-Artwork von Gaurab Thakali. Besonders schön in der Vinyl-Version.  www.brownswoodrecordings.com 

Gilles Petersons Brownswood-Label, wo im letzten Jahr Zara McFarlanes bemerkenswertes Album Arise herauskam, legt aktuell mit neun in drei Tagen eingespielten, exklusiven Momentaufnahmen aus der jungen Londoner Jazz-Szene nach. Auf We Out Here mit dabei: diverse untereinander bekannte `hot tickets´, wie der auch bei den Arise-Aufnahmen bereits mitwirkende Saxofonist Shabaka Hutchings, dessen Sons-Of-Kemet-Kollege Theon Cross, das Ezra Collective mit Drummer & Bandleader Femi Koleoso, Joe Armon-Jones oder Oscar Jeromes Kokoroko. Die Einflüsse im New Sound of London Jazz sind genreübergreifend, aber zuallererst schwarz: von Spiritual Jazz über Afrobeat bis zu Ghetto-Funk. Alle Acts werden im Digipak-Inneren in den Linernotes von Tej Adeleye vorgestellt. www.weouthere.london 

Come on, Hyleen... Die Beine bewegen, mit den Fingern schnippen, den Kopf wiegen. Entscheidend für die aus Jazz, Neo-Soul, Funk und Pop zusammengesetzte Musik der 27-jährigen Hyleen aus Cannes ist der Groove. Auf ihrem vorliegenden, zweiten, von Vorbildern wie Prince und Stevie Wonder beeinflussten Album gibt es eine Menge davon, etwa den schwungvollen Opener Dark Knight. Doch es ist das folgende Looking At, das hier als erste Single unter 13 Eigenkompositionen fungiert, die als Quasi-Live-Takes mit den Studiocracks Nicolas Viccaro (dr) & Fred Dupont (keyb) aufgenommen wurden. Und die sich Hyleen wie eine Schallplatten- B-Side wünscht: "häufig weniger kommerziell, aber sehr cool." Als Testlauf hat die Französin mit B-Seite im Gepäck unlängst schon das Publikum in Japan begeistert. Play Tracks 1-4,7. Webpräsenz

LIVE

Baltasound - was schon so rund klingt, bietet zunächst Brandgräber aus der Bronzezeit, ein komfortables Bushäuschen, das nördlichste Hotel im UK, einen Pub, eine Schule und eine Wetterstation. Denn Baltasound ist immerhin der größte Ort der schottischen Insel Unst, wohin es Martin Kälberer unlängst mit seinem Camper (und seinem Hang darin) verschlug.  Aus der Kargheit der Hebriden, aus dem Hineinhorchen in die Leere, weit weg von der modernen Reizüberflutung und seinem Chiemgauer Studio, zog der Allround-Musiker & Komponist die Inspiration für die zehn Kapitel des akustischen Bogens, den Kälberers vorliegendes, im Herbst 2017 aufgenommenes Album nun spannt. Als Gäste kamen Cellistin Fanny Kammerlander, Flügelhornist Reinhard Greiner, sowie bei jeweils einem Stück Bassist Alex Klier und ein alter Bekannter, Gitarrist Werner Schmidbauer hinzu. www.martinkaelberer.com * www.jazzhausrecords.com Live-Termine: Ab März ist Kälberer emsig auf "Baltasound"-Tour im Bayerischen, u.a. am 02.03. in Passau, am 04.03. in Straubing (Anfang Mai auch wieder in München).

TIPP & LIVE

Inspirationsraum Hebriden: Auch die Cover- & Digipak-Fotos stammen von Martin Kälberer.

Sieben Wünsche - und zweimal sieben Tracks. Saxophonist & Bandleader Joachim Staudt (u.a. bei Peter Herbolzheimer, Roy Ellis, Tom Gäbel & auch als Quiet Fire unterwegs) hat in den (7) Jahren seit seinem Debut-Drop In The Ocean von 2017 vor allem im TV-Bereich (ARTE, WDR, SWR, NDR) als Komponist gearbeitet. Mit seinem nun im Eigenvertrieb erhältlich gemachten, aktuellen Instrumental-Album Seven Wishes liefert er vom Sax angeführte, im Jazz verwurzelte Woodwind-Arrangements mit Einflüssen aus Filmmusik, Ambient, Minimal & World Music. Bis auf den Kontrabass von Florian Dohrmann (David Orlowsky Trio) spielt Produzent & Mischtonmeister Staudt wie weiland Mike Oldfield hier auch alle Instrumente selbst: u.a. Piano, Fender Rhodes, Flöte und diverse Percussion-Instrumente, u.a. Marimba. Angenehm stimmiges Ganzes, ohne in Beliebigkeit oder Kitsch zu verfallen.  http://joachimstaudt.com

TIPP

LIVE

Luftige, positive Stimmungen will Florian Favre auf seinem neuen Album
On A Smiling Gust Of Wind einfangen. Der Berner Pianist & Komponist gründete sein Trio im Jahr 2011, seine jetzigen Mitstreiter Bassist Manu Hagmann und Arthur Alard am Schlagzeug kamen erst später hinzu. Dennoch folgen die beiden Favres rhythmischer Raffinesse und spontanen Interaktionen genau. "Ich habe das Gefühl, dass die Band während der Aufnahmen richtig geflogen ist", erklärt Favre, "dass wir unverkrampft und ehrlich gespielt haben." Wem die ganz persönlichen Vorhaben so leicht von der Hand gehen, dem bleibt auch Zeit und Muße für das eine oder andere `side Project´...

Live on Tour in D - ab 03.03. bis 12.04. Check out: www.florianfavre.com

 LIVE

2 Hildegard lernt fliegen. Wem das bekannt vorkommt, der hat sich vielleicht auch den Namen Christoph Steiner gemerkt. Der 1980 bei Basel geborene Drummer ist auch als Komponist und Bandleader für Track-Titel wie Ueberbauen mit Herr Mess, Die Besseren Ratgeber oder Dichter Im Stress gut, die jetzt auf dem neuen Album Still Writing Letters von Steiners Trio mit (dem gerade vorgestellten) Florian Favre am Piano und Christoph Grab an diversen Holzblasinstrumenten. In dieser ungewöhnlichen Besetzung steht der Albumtitel für den altmodischen Ansatz von Hand gespielter Musik und der Bandname Escape Argot für Musik als Ausbruchsvokabular: eine Mischung aus lyrischen Melodien, dynamischen Breaks und improvisatorischen Energieschüben. Um die Interaktion zu beflügeln (siehe Cover), wurden nur wenige der Arrangements explizit ausformuliert, dazwischen bewegen sich die drei Virtuosen, in der "Balance zwischen frei und organisiert: Ausladende Klavierparts, vereinzelte Moog-Einschübe, Saxophon-Modulationen und eine breite Palette von Drum-Pattern sorgen dafür, dass hier keine Langeweile aufkommt. www.escape-argot.ch * www.traumton.de Ab 13.03. auf Tour in D, u.a. am 17.03. in Landshut.

 LIVE 

Package: Lockedesign, Simon Häberli

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