REVIEWS POP/ROCK 11-2016

 


 

pop 10 16 DivineComedy

Agnes Obel - Citizen Of Glass

PIAS / Rough Trade

pop 10 16 Agnes Obel

Play Tracks 1-5,8. Live ab 28.10. Düsseldorf (sold out) bis zum 15.11. - in der Münchner Theaterfabrik.
www.agnesobel.com

Jenny Berkel - Pale Moon Kid 

Pop-up Records / Soulfood 

Und noch mehr Herbstmusik. Ähnlich zarte Klänge wie bei la Obel vom Pale Moon Kid Jenny Berkel aus Kanada, folk-angefixt einst von Leonard Cohen, aktuell erklärtermaßen inspiriert von Rainer Maria Rilke. Musikalisch geht es etwas konventioneller zu, in der Stimmung eher konsequent angedüstert. Produziert hat Green Coat-Co-Autor Daniel Romano, der sich entschieden hat, auf instrumentale Akzente weitgehend (Ausnahme etwa: Lilac Lily) zu verzichten. Offenbar, um nicht von Berkels Gesang abzulenken, worüber man getrennter Meinung sein kann, denn auf Albumlänge kommt mangels Abwechslung doch zuweilen Langeweile auf. Im September gab es in Berlin einen ersten Live-Vorgeschmack - vom 23. bis 28.11. erneute Konzerte in deutschen Breiten. http://jennyberkel.com

LIVE

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 LIVE

Ein bemerkenswerte Energieleistung der in Berlin lebenden dänischen Künstlerin: der Nachfolger zu ihrem erfolgreichen, 2014 auch an dieser Stelle gewürdigten Album Aventine, Citizen Of Glass. Erstmals hat Agnes Obel nicht nur alle Songs geschrieben & komponiert, sondern auch noch im Alleingang aufgenommen, abgemischt und produziert. Und macht dabei eine gute Figur. Vor allem natürlich als Sängerin, aber auch die Arrangements sind stimmig. Thematisch geht es um den modernen, in vieler Hinsicht "gläsernen" Bürger, doch Agnes O. würde wohl auch einen Vortrag aus der im Aussterben befindlichen Gattung Telefonbuch hörenswert gestalten. Im Background u.a. John Corban an der Violine, Kristina Koropecki & Charlotte Danhier an den Cellos.


 

 


pop 10 16 JennyBerkel

The Divine Comedy - Foreverland

PIAS UK - Divine Comedy Records / Rough Trade

pop 10 16 DivineComedy

Bei anderen (gelungenen) 2016er Alben wäre spätestens jetzt Schluss, doch hier hat es weitere Highlights: das wie aus dem Nußknacker-Ballett heraushüpfende The Pact, das sich in Streicherkaskaden steigernde To The Rescue, das muntere, von Esels-Wiehern (!) eingefasste How Can You Leave Me On My Own, das à la Morricone arrangierte I Joined The Foreign Legion, das banjo-entspannte My Happy Place. Trotz Hannons Manierismen (das acapella startende Other People bricht er mit "blablaba" einfach ab & fällt ins abschließende The One Who Loves You) und seinem begrenztem Tonumfang als Sänger - Top-Empfehlung.

 TIPP!
 

Zwischen Vaudeville & Pop hat sich bekanntlich The Divine Comedy-Mastermind Neil Hannon behaglich eingerichtet. In Matthew Coopers Foreverland-Design inszeniert sich Hannon einmal mehr als Dandy - hier mit Vorliebe für Uniformen & 18. bis 19. Jahrhundert. Optisch in Kulisse & Tüll an seiner Seite: Schauspielerin Luna Picoli-Truffaut (Enkelin von Francois), deren Nachname (oder deren Nase) es Hannon & Co (Fotograf Raphael Neal) angetan haben muss. Gewidmet ist das Ganze aber Hannons Lebenspartnerin, der irischen Sängerin & Schriftstellerin Cathy Davey, die mit ihm das hübsche Duett Funny Peculiar singt. Und in der exquisit angerichteten Verpackung stecken noch weitere feine, stimmig instrumentierte Songs - etwa der mit kecken Backgroundchören garnierte, selbstironische Klasse-Opener Napoleon Complex (sic!), der melancholische Titeltrack, das mit opulenten Streichern zu großem Kino aufgedonnerte A Desperate Man, oder die eingängige Single Catherine The GreatErst im Februar 2017 wieder live in Deutschland zu erleben.

http://thedivinecomedy.com

Archive - The False Foundation

PIAS Cooperative - Dangervisit / Rough Trade

20 Jahre - zehn Alben - zwischen Eigenwilligkeit und Unentschiedenheit. Die Londoner Musiker lassen sich nicht festlegen, auch auf The False Foundation nicht. Schon vermutet man ob dieses Titels und des Digipak-Stylings ein Konzeptalbum, indes - auch dafür fehlt es hier am roten Faden. Postrock-, Elektronik- & Pop-Elemente, selten in stringenten Songstrukturen, oft fühlt man sich an Theater-Musik erinnert. Introspektiv geht es los, mit dem ruhig-repetitiven Beginn Blue Faces, bevor das Stück in eine Klangcollage mit überladenem Finale à la Pink Floyd übergeht. Folgt die sechsminütige Single "Driving In Nails", deren einzige Textzeile erst jenseits der drei Minuten über diversen Geräusch-Schleifen intoniert wird. Und so geht es weiter - in kontinuierlichen Wechsel zwischen Prog-(ohne Rock), experimentellen und popnahen Passagen wie bei Splinterswww.archiveofficial

 LIVE

pop 10 16 Archive

Ab 21.11. Live-Konzerte in D - am 23.11. in der Münchner Muffathalle.

Synje Norland - Who Says I Can´t?/ Liset Alea - heartheaded / Billie Marten - writing of blues and yellows / Lisa Hannigan - at swim

 Norland Music / Broken Silence * Kwaidan / Indigo * RCA Int. / Sony * PIAS / Rough Trade

pop 10 16 SynjeNorland

Abteilung "engelsgleiche Vocals", die 1.: Nein, keine Skandinavierin. Aber fast. Die Nordfriesin veröffentlichte schon 2007 auf dem eigenen Norland-Label ihr erstes Solo-Album. Auf dem dritten, selbst geschrieben, produziert & arrangiert, lauschen wir ihrer ausgereiften Kooperation mit dem Cellisten Michael Becker, der Berührungspunkte zu moderner Klassik schafft. Weg vom TV-kompatibel-netten Image soll es gehen. Who Says I Can´t klingt folgerichtig weniger leicht als bisherige Alben, doch bis ins zuweilen dramatische Detail selbstbewusst & eigenständig. Play Tracks 2-5. Live: 20. 10.- 04.11.  www.synjenorland.com

2 - Liset Aleas Weg zum Soloalbum beim Label von Nouvelle Vague führte über Havanna, Costa Rica, Miami, Mexico und New York, über kurzlebige Pop- & Electro-Engagements und Background-Gesang. Mit Heart-Headed bietet die weitgereiste Kubanerin ein weites Spektrum von Lana del Rey-Copycat (Jerusalem) über Singer/Songwriter-Ballade (Alexander) bis zu Schlagernahem ("blue. blue, blue Danube"), manchmal zu breitwandig produziert, scheint aber bei Kwaidan vorerst einen Hafen gefunden zu haben. Play Tracks 1,4. Im November mit Nouvelle Vague auf Tour: 23.11. Berlin, 29.11. Wien, 04.12. Zürich. 

4 - Aus dem Damien Rice-Umfeld mag der eine oder die andere die irische Singer/Songwriterin Lisa Hannigan bereits kennen, die längst aus dem Back- in den Foreground gewechselt ist & mittlerweile mit At Swim ihr drittes Album abliefert. Meist toll gesungen, zuweilen in Sachen Komposition nicht allzu aufregend - weswegen wohl Aaron Dessner, The National-Songschreiber & Multiinstrumentalist, als Co-Autor fungiert, der hier auch an Fender Rhodes & Gitarre zu hören ist. 

 LIVE
pop 10 16 BillieMarten
 

pop 10 16 LisetAlea

2 slide 10 16 Lisa Billie

3 - Vielversprechende Newcomerin.

Die britische Singer/Songwriterin Billie Marten veröffentlicht mit zarten 17 Lenzen ein erstaunlich erwachsen wirkendes (Major-)Debüt - mit fast nur selbst geschriebenen Songs.

Ihre zarten Kompositionen wurden von Spilt Milk-Producer Rich Cooper (u.a. Temper Trap ) glücklicherweise zurückhaltend in Szene gesetzt und nicht unnötig aufgeblasen. 

Als letztes Stück dann trällert Billie M. noch unbeschwert acapella (das fremde) It´s A Fine Day - auf der Standardversion des Albums.

Die hat erstaunlicherweise das schönere Cover (Painting: Adam Caldwell), die Deluxe-Fassung bietet dafür fünf Bonus-Tracks: Demos, Alternativ- & Live-Versionen

www.billiemarten.com

Madison Violet - The Knight Sessions 

India - Big Lake Music / Rough Trade 

pop 10 16 MadisonViolet

www.madisonviolet.com
Play Tracks 3,4,6,7,11.


Lewis & Leigh - Ghost

Ferryhouse Productions / Warner

Im Doppelpack erfolgreicher als solo. Das amerikanisch-walisische, von London aus operierende Folk-Duo Lewis & Leigh, beide mit (unterschiedlichen) Nashville-Erfahrungen, fand sich in der britischen Metropole (und einen Fan in Billy Bragg) - und spielten in diesem Jahr bereits auf dem Glastonbury Festival. Das überwiegend sehr ruhige Debütalbum Ghost wartet nicht nur mit dem feinen Harmoniegesang der beiden, etwas Nashville und einem Hauch Londoner Urbanität auf, sondern auch mit einigen gemeinsam geschriebenen, eingängigen Songs, etwa mit Keep Your Ghost, dem folgenden Heart Don´t Want oder Devil´s In The Detailwww.lewisandleigh.com

 LIVE

Das Zusammenspiel sitzt, der ineinandergreifende Gesang auch. die Kanadierinnen Brenley MacEachern & Lisa MacIsaac musizieren ganz offenkundig schon länger gemeinsam - bald 20 Jahre - und haben ungewohnt schnell nach ihrem Vorjahresalbum Year of the Horse aktuell schon wieder neues Material am Start. Genauer: fünf Akustikversionen von Tracks des Vorgängers, fünf komplett neue Tracks und einen Remix. Das mit Bassist & Keyboarder Tino Zolfo produzierte Album The Knight Sessions bietet musikalisch einen soliden Mix aus Americana, Folk & dosierten Pop-Momenten, eine Handvoll Songs darüberhinaus auch das gewisse Etwas. Madison Violet auf ausgedehnter Tour: den gesamten Oktober bearbeiten die beiden Macs deutsche Bühnen. 

 


 

 

pop 10 16 LewisLeigh

Matt Berry - The Small Hours / Anderson East - Delilah

Pias Coop - Acid Jazz / Rough Trade
*
Atlantic / Warner

Der britische TV-Mime & Sänger Matt Berry zeigt auf seinem mittlerweile fünften Album The Small Hours viel Gespür für angloamerikanischen 70´s Pop. Folk- und Psychedelic-Anleihen, aber auch cineastische und jazzige Momente werden von Berrys Backing Band The Maypoles gereicht, die dergestalt zuweilen kompensieren, dass der Comedian kein allzu berühmter Sänger ist. As hit as it gets: Track 10, Lord Above.


Anderson East aus Athens, Alabama machte sich mit seinem Vorjahres-Auftritt beim Reeperbahn-Festival erste Freunde und legte im September mit drei Dates in Hamburg, Leipzig & Köln nach. Sein Vintage-Sound auf dem Debüt Delilah repräsentiert im positiven Sinne Nashville: Southern Soul trifft auf Rhythm & Blues und hinter seiner rauhen Leadstimme tritt auch mal ein Gospel-Chor hervor. Derzeit noch bis Jahresende auf ausgedehnter US-Tour.

 

pop 10 16 mattBerry

pop 10 16 AndersonEast

www.themattberry.co.uk

2 slide 10 16 Anderson

http://andersoneast.com

La Femme - Mystere

 Disques Pointu / Cargo Records

2 slide 10 16 Femme

In etwa geht es dann auch so weiter: 60´s-Pop, 80´s Wave (etwa: SSD, Elle Ne T´Aime Pas oder Mycose) & technische Studio-Spielereien bilden eben unverzichtbare Komponenten im munteren, zitierkundigen Stilmix dieser Franzosen.

 TIPP 
 

Das neue La Femme-Album Mystere ist zunächst einmal ein Hingucker. In das haarig- gruselige Package-Design ihres Drummers Lucas Nunez Ritter (with a little help from Victor Muzet-Herrstöm) verpacken Marlon Magnée, Sacha Got & Co. nach ihrem vielbeachteten Debut Psycho Tropical Berlin allerlei neue Pop-Mysterien - gerne mit viel weiblichem Gesang mindestens eines halben Dutzends toller Sängerinnen veredelt. Der Spaß beginnt mit dem aufgemotzten Synthiepop von Sphynx und dem folgenden Le Vide Est Ton Nouveau Prénom: Ruhiger zweistimmiger Gesang von Jane Peynot & Clara Luciani zur Guitarre (bis sich Orgel & Morricone-Chor dazugesellen). Der dritte Track Où Va Le Monde startet dann wie ein Italo-Western-Vorspann, der dann ordentlich Yé-Yé-Treatment abbekommt. http://lafemmemusic.com

WOLFMAN - modern age

Irascible / Cargo

pop 10 16 wolfman


Thisell 2

JellyFant Records / Cargo

Herbstlich getönte Low-Fi-Americana mit nordisch-melancholischem Einschlag. Der schwedische Singer/ Songwriter Peter Thisell lud für sein zweites Album erneut befreundete Musiker zur intim-introspektiven Akustik-Session - in einem alten Schulgebäude im Süden seiner Heimat. Thisells fragile Stimme fällt mitunter hinter den instrumentalen Teppich aus Violine, Gitarre, Bass, Akkordeon & Piano zurück. Indie-Folk-Interessenten können hier fündig werden, allerdings gleichen sich zuviele Stücke im Aufbau, in der Mischung ist noch Luft nach oben und spätestens nach Genuss von zwei Dritteln des Albums empfehlen sich Stimmungsaufheller. www.thisell-official.com
Auch als Vinyl.

 
 

Electropop aus der Schweiz - Wolfman, das aus Katerina Stoykova & Angelo Repetto bestehende Duo, stellt zwei Jahre nach ihrem Debüt Unified das Nachfolgealbum Modern Age vor. Der Einstieg mit Lo and Behold kontrastiert verhaltenen Offbeat und Zeitlupengesang. Gerade dieses Stilmittel, die über sparsame, doch groovige Gitarren- & Electro Arrangements gelegten, meist verwaschenen & stark verhallten Vocals, erweist sich mit zunehmender Spieldauer allerdings als Bremser. Nach ihrer Reeperbahn-Festival-Visite neue Live-Daten zunächst nur in der heimatlichen Schwyz: 21.10. Wil, 28.10. Schaffhausen, 03.11. Luzern 04.11. Zürich.

 www.wolfmanmusic.net


 

 

 

pop 10 16 Thisell

Sophie Ellis-Bextor - Familia

EBGB´s - Red Essential / Sony

Die UK-Sängerin mit dem einprägsamen Namen mit ihrem aktuellen, gemeinsam mit Kollege Ed Harcourt produzierten Pop- & Style-Entwurf auf Disko-Basis. Dabei finden sich auf Familia (laut SE-B "the bolshier, more extrovert sister to Wanderlust" - Vorgängeralbum von 2014, Anm.d.Red.) zunächst enttäuschend belangloser Chartspop. Ab der Mitte des Werks dann der als Single ausgekoppelte, vertretbare Disco-Track Come With Us (Track 6) und langsameres, ansprechenderes Material wie Hush Little Voices, Here Comes The Rapture oder Cassandra (Tracks 4,5,7), das sich bemüht, in die eine oder andere Lücke zu stoßen, die eine Madonna in Midlifecrisis im Balladen-Sektor hinterlassen hat. Die folgenden Songs bieten keine Ausreisser nach oben mehr, toppen aber den Beginn.
http://sophiellisbextor.net

 

pop 10 16 Ellis Bextor

DePhazz / Ukulele Dub Society / The Flow Vol.1

alle: Phazz-A-Delic / Alive

Pit Baumgartners Label Phazz-A-Delic mit unvermindert hohem Release-Ausstoß, neben dem neuen DePhazz-Album noch eben die Ukulele heißgedubbed und einen Sampler obendrauf - alles im Flow. 1 De-Phazz Die Ladies und der Schelm. Bei Prankster Bride stehen ausnahmslos Sängerinnen am Mikro (Pat Appleton 5x, Barbara Lahr 2x, Angel J., Jutta Glaser & Cherry Sanders je 1x), die auch mal ihre Texte mitbringen. Cheftapezierer Baumgartner agiert als Songschreiber, Mixer, Produzent. Stilistisch fast alles beim Alten, auch Trompeter Joo Kraus ist wieder dabei. Am auffälligsten: der Titeltrack, I Sing und Freaky.
2 DePhazz minus Gesang plus `Uke´ macht: Ukulele Dub Society. Sommers erlaubte sich der Chef einen rein instrumentalen Ausflug - mit der Ukulele & den Herren Kraus, Dörsam & Rubow ins Dub-Studio. Why not - auch wenn die sympathische kleine Klampfe aus gutem Grund eher für den optischen als einen akustischen Effekt hergespielt wird. Gelegentlich klingt es halt nach Programmtrenner-Muzak. Dürfte folgerichtig im TV gern eingesetzt werden. Play Tracks 4,5,15. 3 The Flow Vol.1 - Wer sagt da, dass der Sampler tot wäre? Erklärtermaßen autobiografisch angeordnete CD-Tracklist von Phazz-A-Delic-Kompilator Haluk Soyoglu (Ex-Mole Listening Pearls). Der vorliegende Flow mit u.a. Bugge Wesseltoft - Bonobo - Dead Can Dance - Buffy Sainte Marie - Funki Porcini - Bomb The Bass (und zweimal De-Phazz...) wird daher kaum zu jedem Hörer fließend sprechen, aber auch einzelne Entdeckungen auf der Klang-Reise sind ja möglich.

pop 10 16 DePhazzPrankster

pop 08 16 UkuleleDub

pop 10 16 Phazzadelic Flow1

2 slide 10 16 Pop De Phazz


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