REVIEWS POP / ROCK 08/09-2017

 

 

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Arcade Fire - Everything Now

Columbia / Sony
CINESOUNDZ-SPECIAL

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pop 08 17 Arcade Fire slide

Live @ Wuhlheide Berlin / Everything Now-Video / Creature Comfort-Video

Signs of Life-Video / Electric Blue-Video / www.everythingnow.com

 TIPP
 

"All your money is already spent - on infinite content. We´re infinitely content." Das Fanvolk wollte nach den auch von weiten Teilen der Kritik heißgeliebten Vorgängeralben Suburbs und Reflektor Alles - und alles jetzt sofort. Arcade Fire kommen dem Zeitgeist und den hohen Erwartungen an ihr neues Album Everything Now mit ironischer Gesellschafts- und Konsumkritik bei. Alle Songtexte sind etwa auf einem im Einkaufsprospekt-Design gehaltenen Fold-out-`Booklet´ abgedruckt. Musikalisch (mit den Produzenten Markus Dravs, Daft Punks Thomas Bangalter und Portisheads Geoff Barrow) ein recht offensiver Flirt mit Pop und Kitsch, an dem Kritiker die geringere Halbwertzeit der meisten Songs kritisieren. Indie-Puristen haben die Abba-Hommage im Titeltrack und die Fortsetzung des Disco-Ausflugs vom Vorgängeralbum zu verkraften, der sich hier mit Signs of Life fortsetzt. Dazu kommen bei Creature Comfort schamlos eingängige Synthieklänge, trotz ernstem Thema (Adoleszenz, Drogenmißbrauch, Suizidgedanken) direkt in Kinderliednähe (wie auch die verschwurbelte Elektronik von Peter Pan), linkische Off-Beat- meets Rock-Versuche (Chemistry) sowie gleich zweimal Infinite Content (als Garagen-Track & countryfizierte Reprise). Régine Chassagnes Moment kommt bei Electric Blue, einem catchy Refrain, der gar kein Song sein will. Nicht alles funktioniert, doch Frontmann Butler kontert gegen Ende ironisch: Put your money on me.

Ghostpoet - Dark Days + Canapes

Pias Recordings / Rough Trade

Ghostpoet aus London veröffentlicht als Nachfolger von Shedding Skin aktuell sein viertes, noch etwas düsterer geratenes Album Dark Days + Canapés. Schon seit geraumer Zeit findet Obaro Ejimiwe Gefallen an verhallten Pianos & Gitarren, garniert mit kleinen Soundgimmicks. Obwohl sich die Stücke gleichen, sorgen kleine Variationen in OE´s Sprechgesang oder dem instrumentalen Background dafür, dass die sich aufbauende nervöse Stimmung bei der Hörerin nicht in Abwehr abgleitet (Produzent Leo Abrahams, der schon mit Brian Eno arbeitete, mag daran Anteil haben.) Der einmal eingefangene Interessent bleibt dran an dieser eigenwilligen Spoken Word-Séance, von der man eine gedruckte Version vermisst - kein Booklet liegt im schmucklos-schwarzen Digipak bei. Play Tracks 2, 5-10. www.ghostpoet.co.uk

 TIPP
 

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Unkle - The Road: Part 1

Songs For The Def / Alive

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Schon bei Mo´ Wax (bis 2004) war die Covergestaltung ein wichtiger Faktor, viele der Cover von James Levelles altem Label erzielen mittlerweile hohe Sammlerpreise. www.fb.com/unkle Play Tracks 3, 6, 9, 12, 14.

TIPP
 
 

Long live the Gesamtkunstwerk. Den Künstler & Kurator lässt Mo´ Wax-Gründer James Lavelle auf dem Cover und im 36-seitigen Booklet von The Road pt.1 schon recht deutlich heraushängen. Alle Songtexte sind von Kunstwerken flankiert und die in die weiße Papp-Innenhülle geprägte Tracklist zeigt sich erst Neugierigen, die die Fläche mit einem Bleistift schraffieren. Ansonsten schert sich Lavelle nicht ausgesprochen um die Interaktion mit dem Publikum oder dessen Erwartungen, sondern macht abseits von Trends sein genresprengendes 90´s-Ding, mit Trip Hop-, Elektro-, House- oder Rockanleihen. Meist tut er dies in Kooperation mit am Mikro vorbeischauenden Künstlerkolleg(inn)en. Auffälligstes (von einer ganzen Handvoll atmosphärischer Stücke auf CD1 - Nr. 2 enthält zusätzlich die Instrumentalversionen der 15 Tracks): Lookin´ For Rain, wo Co-Autor (& Ex-Screaming Tree) Mark Lanegan vor opulenten Streichern den Iggy Pop gibt. Weiter dabei:  Primal Screams Andrew Innes, Queen of the Stone Age’s Troy Van Leeuwan, Dhani Harrison, ESKA, Keaton Henson oder the Duke Spirit’s Liela Moss. An The Road p.2 wird schon geschraubt.

JOCO - into the deep

Columbia / Sony

Das Kieler Indiepop-Duo JOCO, bestehend aus den nach Musikstudium in den Niederlanden nach Hamburg übersiedelten Schwestern Josepha (Vocals, Drums) und Cosima (Vocals, Piano, Guitars), hatte sich auf einer intimen Konzertserie im letzten Jahr bereits mit ihrem zweistimmigen Gesang und einigen vielversprechenden Kompositionen empfohlen. Schon ihr Debüt(!) Horizon wurde in den Londoner Abbey Road Studios aufgenommen - die Ambition war überdeutlich (und führt immer noch auch zu Kapriolen wie einer ESC-Vorausscheid-Teilnahme oder unsäglich-hymnischen Promotion-Waschzetteln). Für den Nachfolger Into the Deep zogen die beiden gleich für ein paar Wochen nach London, um erneut mit Produzent Steve Orchard (Paul McCartney, Björk) zu arbeiten: „Wir wollten uns bei dieser Platte keine Gedanken darum machen, ob und wie sich das alles später live umsetzen lässt“. Man wird sehen - in nun größeren Locations: Ende Oktober auf Tour, u.a. am 29.10. in der Münchner Kranhalle - check out: www.jocomusic.com

LIVE
 

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Calvin Harris - Funk Wav Bounces Vol.1

Columbia / Sony

Charts stuff, blackified. Adam Richard Wiles aus Schottland, aka Star DJ Calvin Harris, ist mit seinem EDM-Programm regelmäßig zu Gast in den internationalen Hitparaden. Für sein neues Album Funk Wav Bounces Vol.1 geht es um einiges deutlicher in Richtung R'n'B, Soul, Jazz und Funk. Auch auf diesem Terrain hat Harris offenbar überzeugende Argumente: die Liste der Gastsänger(innen) spricht für sich: unter anderem sind Pharell Williams, Snoop Dogg, Ariana Grande, John Legend, Nicki Minaj oder Katy Perry am Start (aber auch die kanadische Singer/Songwriterin Jessie Reyez), nur um dann mehrheitlich öde durch den Autotune-Wolf gedreht zu werden. Beim vertretbarsten Track, dem Opener Slide, bereits als Single ausgekoppelt ein Millionenseller, sind Frank Ocean und Rapper Migos zu vernehmen.
http://new.calvinharris.com 

 

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Childhood - Universal High

Marathon Artists - Kobalt / Rough Trade


Childhood, das aus Nottingham stammende Bandkollektiv um Frontmann Ben Romans-Hopscraft, geht mit seinem zweiten, in Atlanta mit Gnarls Barkley-Produzent Ben H Allen III eingespielten und gemischten Album Universal High auf Southern Soul-Kurs - die Isley Brothers oder Curtis Mayfield lassen verschiedentlich grüßen. Samtige Vocals und stimmige Arrangements mit Softrock-Touch werden geboten, die das Album auch ohne große Höhepunkte gut durchhörbar machen - nicht schlecht für ehemals überzeugte Indie-Popper mit psychedelic touch, der hier gleichwohl nur noch gelegentlich, bei Tracks wie Nothing Ever Seems Right durchscheint. Am 20. September spielen Childhood auf dem Reeperbahn-Festival.

www.childhoodband.com

LIVE
 

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Declan McKenna - What Do You Think About the Car?

Columbia / Sony

Frühreif. Die "Stimme einer Generation" - die Inselpresse war wieder einmal schnell mit Superlativen zur Stelle, doch Declan McKenna hat in der Tat eine eigene Meinung, wie er schon mittels seines mit 17 selbst veröffentlichten, FIFA-kritischen Tracks Brazil unter Beweis stellte. Um den selbstbewussten jungen Mann aus dem südostenglischen Cheshunt, Hertfordshire riss sich bald die gesamte UK-Musikbranche - den Sieger der `Emerging Talent Competition´ beim Glastonbury-Festival und sein Album-Debüt wollten 2015 rund vierzig Firmen unter Vertrag nehmen. DMcKs aktuelle, mit Arctic Monkeys-Produzent James Ford aufgenommene Single The Kids Don´t Wanna Come Home etwa beschäftigt sich mit der desillusionierten Stimme der Jugend, zu wenig gehört von Gesellschaft & Politik. Richtig angekommen im Album What Do You Think About The Car? ist man mit dem eingängigen Make Me Your Queen und dem nachfolgenden schmissigen Isombard (einer weiteren von sechs Singles). Am 13. & 14. Oktober stehen zwei Gigs in Berlin & Köln ins Haus. www.declanmckenna.net 

LIVE

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JUdy Dyble / Andy Lewis - Summer Dancing 

Pias / Rough Trade

"Childhood memories are everywhere, when I walk up Diamond Lane." Die mittlerweile 68-jährige Britin Judy Dyble sang Ende der 60er zuerst bei Fairport Convention, der Schlüsselgruppe der britischen Folkbewegung (bevor sie kurz den King Crimson-Vorgängern Giles, Giles & Fripp beitrat). Es folgte eine jahrzehntelange Auszeit vom Musikschaffen, dann vor zehn Jahren ein zartes Zurücktasten. Produzent (& ex-Paul Weller-Bassist) Andy Lewis schlug der mit einer immer noch jugendlich klingenden Stimme gesegneten Legende 2014 kurzerhand vor, ein gemeinsames Album aufzunehmen. Nun liegt Summer Dancing tatsächlich vor und enthält durchaus memorable Tracks für Blumenkinder aller Generationen. Dieses wieder aufgekochte Folk-Gebräu verträgt auch eine Prise Psychedelisches aus Lewis´ Retro-Soundküche. www.judydyble.com

 

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Zervas & Pepper - Wilderland

India - Zerodeo / Rough Trade

Wie gesagt, in repressiver Weltlage gedeiht im Gegenzug auch wieder ein bescheidenes Flower Power-Umfeld. Die neue Folk- & Westcoast-Begeisterung hat offensichtlich auch schon seit längerem das walisische Cardiff erfasst. Dort wirkt das Gesangs-Duo Kathryn Pepper und Paul Zervas, das als Zervas & Pepper auch auf seinem neuen Album dem Sound der Seventies nachspürt, wie ihn etwa America, Fleetwood Mac, Buffalo Springfield oder Crosby, Stills, Nash (& Young) zelebrierten. Von ihrem vorhergehenden, 2015 aufgenommenen Werk Abstract Heart" war David Crosby gar so angetan, dass er den beiden seinen Sohn James Raymond für die weitere Karriere empfahl, der nun auch auf Wilderland als Co-Producer agiert. Anfang August drei Gigs in D - check out: https://zervasandpepper.com 

LIVE
 

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Cookin´on 3 Burners - Lab Experiments 1: Mixin´

Soul Messin´Records

`Australia´s hardest hitting Hammond organ trio´: Cookin´ On 3 Burners! Diese Kerle sind keine Leisetreter. Die dreiflammigen Retro-Groove-Köche from down under, erklärtermaßen angetreten, um die Punkte zwischen Deep Funk, Raw Soul, Organ Jazz & Boogaloo zu verbinden, ließen sich für ihr aktuelles Album Mixin´ per Zeitmaschine ins Jahr 1971 `beamen´, wo dann in der Ensembleküche unter Beigabe fein dosierter `guest vocals´ (etwa von Bamboos-Frontmann Kylie Auldist) solange experimentiert wurde, bis der gewünschte `future sound of yesterday´ aus der Destille tropfte - "captured in full flight with the right blend of sweet soul and dirty dance floor funk that comes on strong until you get up offa that thing and shake it!" Livedaten und mehr: www.musicglue.com/cookin-on-3-burners  

 

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Nadine Shah - Holiday Destination

Pias Coop - 1965 Records / Rough Trade

"Refugees are welcome here!" Schön wär´s ja, aber Nadine Shah kennt auch die andere Seite, den Alltagsrassismus in ihrer Heimat. Die pakistanischstämmige britische Songwriterin kleidet auf ihrem dritten, einmal mehr von Ben Hillier (Blur) produzierten Album ihre sich um Themen wie eigene Identität, Migrationsverwerfungen, Ignoranz & Resignation in politisch unsicheren Zeiten kreisende Gesellschaftskritik in ein nervös-treibendes Post-Punk-Gewand. Shah hat es satt - sich über Flüchtlinge an ihrem Urlaubsstrand beschwerende britische Touristen waren der Auslöser für ihr bisher politischstes Werk Holiday Destination. "See my temperature rising unlike friends who are detoxing." Mal sind ihre Kommentare verklausuliert, mal nimmt sie kein Blatt vor den Mund: "What is there left to inspire us with a fascist in the White House?" Play Tracks 1-3,8-10. Man darf gespannt sein. Am 20. September spielt Nadine Shah auf dem Reeperbahn-Festival. http://nadineshah.co.uk

TIPP & LIVE
 

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Michael Nau - Some Twist

Full Time Hobby / Rough Trade

Abschließend sei auf das an dieser Stelle mit Verzögerung angelandete zweite Album des US-amerikanischen Folk-Pop-Songwriters Michael Nau hingewiesen, der im Herbst hierzulande live spielen wird. Naus entschleunigte Kompositionen arbeiten sich ohne große Höhepunkte bewusst an kleinen Ungereimtheiten innerhalb der feinen Arrangements, wie im Proberaum "passiert", entlang ins Bewusstsein des Hörers vor. Zusammengehalten von der warmen Stimme des Indie-Troubadours, der von wohlmeinenden Kritikern schon in die `Rock'n'Roll underdogs' Hall of Fame´ aufgenommen wurde. Text Anfang Oktober in Deutschland und der Schweiz live zu begutachten, u.a. im Münchner Orangehouse am 05.10. : https://de-de.fb.com/michaelnaucottonjones

TIPP & LIVE
 

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© cinesoundz 2017