Filmfest München 2016 - Fazit: Familie
Filmfest München 2016 - Perspektivwechsel 2 – Familie einmal anders
Schee war’s. Das 34. Filmfest München zeigte 207 Filmpremieren aus 62 Ländern. Und wie jedes Mal gab es Themen, die von mehreren Filmemachern aufgegriffen wurden. Meist dabei: der Beziehungskosmos ‚Familie’ - In diesem Jahr mit speziellem Twist: Eltern als Zumutung für ihre Kinder...
Familie einmal anders ... : Captain Fantastic (mit Viggo Mortensen, Frank Langella u.a. )
© Universum Film
Nein, dabei ging es weder um Helikopter-Eltern noch Karriere-Waisen. Kennt man doch. Stattdessen erzählten die Filmemacher einzigartige Geschichten – berührend, überraschend, verstörend... und auf jeden Fall sehenswert.
So traut sich Florian Eichinger mit Die Hände meiner Mutter (Kinostart am 1. Dezember) an das Thema Kindesmissbrauch - von einer gänzlich unerwarteten Seite: Bei einem Familientreffen erinnert sich der 39-jährige Ingenieur Markus wieder daran, was ihm seine Mutter angetan hat, als er noch ein Kind war. In den nun folgenden Rückblenden lässt Eichinger seinen erwachsenen Hauptdarsteller in der Position des Kindes agieren. „Wir wussten nicht, ob das funktioniert“, sagt der Regisseur beim Q&A. Doch das tut es – der mutige Kniff verleiht dem Film eine eindringliche Kraft.
Teile von Crew und Cast von Die Hände meiner Mutter beim Q&A auf der Bühne des Arri-Kinos, u. a. Florian Eichinger, Andreas Döhler, Jessica Schwarz, Katrin Pollitt, Heiko Pinkowski.
© Gabriela Beck
Eine schöne Balance zwischen Melancholie und absurder Situationskomik schafft Luise Brinkmann in Beat Beat Heart. Charlotte, Mitte 50, jüngst von ihrem Partner getrennt, zieht unerwartet in die WG ihrer liebeskranken Tochter ein und lässt sich von einer Mitbewohnerin in die Welt des Internet-Dating einführen. Und siehe da: Die Mama datet. Das führt zu Zoff mit der Tochter, die sich durch den Pragmatismus der Mutter und die Realität der Zufallsbekanntschaften nicht ihre Tagtraumwelt von der romantischen Liebe versauen lassen möchte. Liebeskummer mit Sommerferien-Feeling – das muss man erstmal hinkriegen.
Nicole Kidman als Tochter und Christopher Walken als Vater sind ein Teil von The Family Fang, in dem ein Geschwisterpaar seinen Eltern schließlich den Laufpass gibt. Warum? Als Kinder von provokanten Performance-Künstlern fanden sich Annie und Baxter Fang in den 1970ern regelmäßig – genau wie manch ahnungsloser Passant – in deren Arbeiten wieder. Instrumente im Dienste der Kunst sozusagen. Das hinterlässt Spuren bis ins Erwachsenenalter. Eines Tages verschwinden die Eltern plötzlich spurlos. Ein weiteres Performance-Stück? Ein Komödiendrama von Regisseur Jason Bateman, basierend auf der 2011 erschienenen Novelle gleichen Namens von Kevin Wilson.
Eine Familie ist wie eine Sternenkonstellation, findet die 12-jährige Rose in Light Years. Selbst wenn die Distanz zueinander Millionen Lichtjahre beträgt, sind doch alle irgendwie verbunden. An einem Sommertag macht Rose sich auf, um ihre alkoholkranke Mutter in der Irrenanstalt zu besuchen. Die beiden türmen und verbringen einen verzauberten Tag an der Küste Englands, wobei sich Rose mit kindlicher Unvoreingenommenheit um die Mutter kümmert, während sich Roses Geschwister und endlich auch der resignierte und die Kinder sich selbst überlassende Vater auf die Suche nach den beiden machen. Regisseurin Esther May Campbell zeigt in ihrem berührenden Film, dass eine Familie nicht unbedingt intakt sein muss, um zu funktionieren.
Im diesjährigen Abschlussfilm, Captain Fantastic (ab 14. Juli im Kino) schließlich erzieht Ben Cash seine sechs Kinder fernab der Zivilisation mit Liegestützen, Literatur und linker Philosophie. Die Mutter ist wegen Depressionen in klinischer Behandlung. Ihr Selbstmord veranlasst den Aussteiger, mit seinen Kindern zum Begräbnis in die Welt des Kapitalismus zurückzukehren. Bald sorgen ungewohnte Verhaltensweisen für Verwirrung auf allen Seiten. Hat Ben (Viggo Mortensen) seine Kinder vielleicht nicht nur vor Babylon, sondern auch vor der Realität beschützt? Und hat er ihnen damit wirklich etwas Gutes getan? Regisseur Matt Ross begleitet die komischen Käuze der Familie Cash mit Sympathie und Skepsis. Das Publikum tut es ihm gleich.
gb
Szenenfoto
Nur Wir Drei Gemeinsam
© Adama Pictures / Gaumont
P.S. Auch der Publikumspreis ging dieses Jahr – absolut nachvollziehbar – an einen Familienfilm: Nur Wir Drei Gemeinsam (seit 30. Juni im Kino). In seinem Kinodebut zeichnet der französische Bühnen-Komiker Kheiron seine Familienchronik auf umwerfend humor- und liebevolle Weise nach. Und das, obwohl das auch Gefängnisfolter und die Flucht seiner politisch aktiven Eltern aus dem Iran beinhaltet. „Meine Familienverhältnisse hatte ich immer ausgelassen, das Thema schien mir zu komplex“, erzählt der Regisseur nach dem Screening. „Erst als Film konnte ich mir vorstellen, die Migrationsgeschichte meiner Eltern zu erzählen.“ Die Rolle seines Vaters Hibat übernahm Kheiron selbst.